D.E.U.S.
Mel zu gelangen.
Eine
Empfindung packte mich am Kragen, schärfer als das Rasiermesser in meiner
Tasche.
Ein
Zischen ließ mich anhalten. Ich ortete es vor dem Gebäude. Es schien näher zu
kommen, verstummte dann aber plötzlich. Ich ging weiter, nahm jetzt zwei Stufen
auf einmal.
Ganz
oben angekommen hatte ich nur noch den langen Gang vor mir. Die Gefahr schlich
sich ins Gebäude. Quentin hatte mich gewarnt.
»MEL«,
schrie ich, noch nicht panisch, aber mit ersten Anzeichen von Angst. Nichts
rührte sich.
Urplötzlich
erklang ein lang gezogener Schrei frontal aus Richtung des Zimmers.
»MEL.«
Ich begann zu laufen, das Tempo stetig anziehend. Links von mir erstreckte sich
ein Geländer, dahinter der Abgrund. Rechts blickte mich unheilschwanger die
Wand an, gelegentlich unterbrochen durch Nischen oder weitere Aufgänge.
Zwanzig
Meter, zehn Meter, fünf Meter.
Eine
Gestalt trat aus dem Schatten. Sie stürmte blitzschnell auf mich zu, packte
mich und drückte mich gegen die Brüstung. Ich hatte keine Zeit zu reagieren.
Das Holz brach unter dem Gewicht. Ich sah einen Helm mit Uniform, als wir auch
schon fielen.
Rion
war unser Glück, seine Architektur unser Schutz. Wir fielen nur ein Stockwerk
tief, anstatt der ganzen vier, weil die Gänge in diesem Teil des Gebäudes im
Zickzack-Muster angelegt waren.
Alles
lief in Zeitlupe ab. Mein Gegenüber stöhnte unter dem Helm, sichtlich darum
bemüht, oben von unten zu unterscheiden. Seine schwere Uniform drückte ihn zu
Boden. Ich zählte meine Knochen, richtete mein Rückgrat und stemmte mich
langsam auf. Der Aufprall war hart, aber ich blendete ihn augenblicklich aus.
Meine Gedanken waren nur noch bei Mel. Ich hörte keine Schreie mehr, was ich
als schlechtes Omen deutete.
Ich
stand plötzlich wackelig auf meinen Beinen, während mein Gegner noch mit sich
selbst beschäftigt war. In der Wut hätte ich mich auf ihn gestürzt, aber es
ging nicht um mich, nicht um den körperlichen Schmerz. Ich rannte an ihm vorbei
und überließ ihn seinem Schicksal. Er versuchte noch nach mir zu greifen,
packte aber nur die Leere zwischen uns.
Die
Treppenstufen kamen mir schief und krumm vor. Allein die Angst hielt mich
aufrecht. Oben angekommen hastete ich ins Zimmer. Es war leer und auf den Kopf
gedreht. Das Bett war durchwühlt, die Decke hing zerknüllt herunter. Blut
bedeckte Decke und Laken. Das Rot konnte ich zuordnen, das Blau war mir fremd.
Eine
Spur führte aus dem Zimmer, nahm aber den anderen Ausgang. Ich verlor keine
Zeit und folgte ihr. Treppen führten mich wieder nach unten. Ich bemerkte, wie
alles um mich herum enger wurde. Ich wollte nach Mel rufen, konnte es aber
nicht. Die Stimmung war erdrückend, als ich in einen Hof gelangte. Meine Stimme
kehrte zurück.
»MEL.«
Da lag sie, in der Mitte des Platzes, mein Engel, gefallen und mit gesenktem
Haupt. Ich warf mich neben sie; fing sie auf. Meine Finger krallten sich in ihr
Haar. Verloren blickte sie mich an. Ihre Augen waren gerötet, dennoch fühlte
sie sich warm an. Überall war Blut. Es breitete sich als Lache unter ihr aus.
Es war mehr, als ich in dieser Situation ertragen konnte. Ich atmete schnell.
Zu schnell.
Mel
war nicht alleine. In ihren Armen trug sie ein Bündel.
»Zoë
...«, flüsterte sie mit brüchiger Stimme und schenkte mir dabei ein kurzes
Lächeln.
Ich
war wie hypnotisiert. Unsere kleine Zoë tat ihre ersten Bewegungen. Sie
strampelte in ihrer ganzen Lebendigkeit.
»Sie
ist wunderschön. So wie ihre Mutter.«
Ich
konnte mir eine Träne nicht verkneifen. Ich befand mich in einem Traum. Als
hätte es den Schrei, die Panik und den Angriff nicht gegeben. Ich verschwendete
keinen Gedanken mehr an die letzten Minuten. Für mich zählte in diesem
Augenblick nur noch die Wirklichkeit, der Moment des Glücks, die geschenkte
Hoffnung.
Die
Sekunden veränderten alles: Mel hielt meine Hand, ihr Druck wurde fester. Ihr
Atem kam nur noch in kurzen Schüben.
Ich
nahm ihren Kopf in meine Hände, streichelte Wange und Haar. Die Wärme hatte
sich verzogen. Ich kam mir machtlos und verkümmert vor. Meine Tränen mischten
sich mit ihren Tränen. Auch der Himmel weinte plötzlich. Seine Boten fielen auf
uns herab, seine Ausläufer spülten das Blut auseinander.
Im
Delirium sprach Mel ihre letzten Worte:
»Pass
auf unsere Göttin auf.« Ihre Finger hinterließen Spuren auf mir. Sie zeichneten
ein Bild des Trostes. Mit offenen Augen
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