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D.E.U.S.

D.E.U.S.

Titel: D.E.U.S. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Degas
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belassen.
     Ich
wollte zum Fenster gehen, in einem Raum ohne Fenster. Stattdessen ging ich zur
anderen Seite. Meine Finger streiften beim Vorbeigehen das Holz, welches sich
spröde anfühlte.        
     Vor
der Wand stand ein alter, vom Staub eingedeckter Spiegel, mannsgroß, umrahmt
von eloxierendem Metall. In der linken oberen Ecke fehlte ein Stück Glas,
ansonsten war der Spiegel unversehrt. Gegen die Wand gelehnt ließ er den Raum
größer erscheinen, als er war. Man verlor sich leicht in der Illusion von
Weite.
     Ich
blickte durch mich hindurch. Sah nur zerzaustes Haar auf Kopf und Gesicht,
darunter, vom Scheitel bis zur Sohle, komplette Nacktheit. Kein Feigenblatt
verdeckte meinen Körper. Meine Kleidung lag drapiert neben dem Durchgang.
     Ich
betrachtete Mel im Spiegel, wagte es kaum zu blinzeln, wollte den Augenblick
nur möglichst lange festhalten. Mit den Monaten wurde es für mich zu einer
Abhängigkeit. Ihr Spiegelbild ließ mich tiefer in ihre Seele blicken, es war
ungezwungen und stets neu. Sie war ein Engel ohne Flügel, gefangen in einem
Albtraum. Sie war mein Engel.
     Erst
jetzt bemerkte ich die Kälte. Vom Durchgang wehte ein leiser Luftzug ins
Zimmer. Die Härchen auf meiner Haut richteten sich auf. Sie begleiteten das
Frösteln.
     Ich
drehte mich um und wollte nach der dünnen Bettdecke greifen – nicht
meinetwegen, sondern, um Mel damit zuzudecken – als ich in der Bewegung
verharrte. Mein Blick fokussierte den Rand des Spiegels. Und da war er, nicht
zum ersten Mal. 
     Pandinus
imperator, der Kaiserskorpion. Obwohl Skorpione fast ausgestorben waren, gab es
immer noch wenige Exemplare, die sich tapfer an das Hier und Jetzt klammerten.
Es war ein Weibchen und sie war nicht allein. Auf ihrem Rücken trug sie
Jungtiere, weiß in ihrer Erscheinungsform, was ein Indikator dafür war, dass
sie bis vor Kurzem noch trächtig war; ein Indiz für vollkommene Echtheit.
Sollte sie auf der Suche nach Beute gewesen sein, so musste sie ein weiteres
Mal leer ausgehen. Unser Unterschlupf bot keinen geeigneten Lebensraum für
Wirbeltiere und Gliederfüßer, ihrer bevorzugten Beute.
     Es
war ein Dilemma. Auf den Straßen existierten hauptsächlich Kopien. Man
unterschied zwischen künstlichen und geklonten Tieren; die einen von
Genetikdesignern entwickelt, die anderen aus Stammzellen gefangener Tiere
reproduziert. Als das Nachkommenschaftsproblem vom Menschen auf die Tiere
übersprang, war die Nachfrage nach allem, was mehr als zwei Beine hatte, größer
als jemals zuvor. Am beliebtesten waren Hunde und Katzen. Spinnentiere dagegen
wurden erzeugt, um früher oder später auf einer Speisekarte zu enden.           
     Die
Skorpiondame entfernte sich langsam vom Spiegel. Ihr Wesen faszinierte mich.
War es ihre Erscheinung als Andersartigkeit oder war es die Andersartigkeit als
Erscheinung, die mich fesselte? Ich fragte mich, wie ich auf sie wirken musste;
deutlich größer und breiter als sie selbst, sah sie mich dennoch nicht als
Bedrohung an.
     Sie
war keine zwei Schritte mehr von mir entfernt. Ihre Klauen schabten am Boden
vorbei. Ihr stacheliger Schwanz thronte steif über dem faserigen Chitinpanzer
und dem Nachwuchs. Sie wirkte aus der Entfernung träger, als gut für sie war.
Das Klima war nicht auf ihre Art ausgelegt, dessen musste sie sich bewusst
gewesen sein, als es sie an diesen Ort zog.
     Hinter
mir vernahm ich ein Rascheln. Ich drehte mich um, sah kurz, wie sich Mels Beine
in der Decke verfingen, ein kurzer Tanz mit dem Stoff, bevor es wieder ruhig im
Zimmer wurde.
     Als
ich mich zum Spiegel umdrehte, war unsere Mitbewohnerin auf wundersame Weise
verschwunden.
     
     Ich
sollte sie und ihre Jungen nie wiedersehen.

 
     
     
     
     
     
     
     
    2
     
     
     Ein
Schachbrett. Zweiunddreißig Figuren. Es wird nach Regeln gespielt. Hell gegen
dunkel. Dunkel gegen hell. Kein Patt. Der Krieg bricht aus. Jeder Zug ein
Angriff. Springer auf F6. Läufer auf E7. König schlägt Dame. Schach. Dame
schlägt König. Matt. Ein Sieger, ein Verlierer.
     Die
sterbliche Partie. Neu New York ist der König. Schachmatt!

 
     
     
     
    12. März 2066, minus 1 Jahr
     
     
     Zu
Beginn des Jahrhunderts war New York die Metropole der Menschheit, stark und
von allen, Bewohnern wie Außenstehenden, geschätzt und geliebt, ob seiner Größe
und Unbekümmertheit. Perspektiven fand man, wenn man nur lange genug danach
suchte. Nicht einmal Terror und die Politik vermochten es, die Stadt

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