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Deutschboden

Deutschboden

Titel: Deutschboden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Uslar
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Gegner auf Abstand zu halten. Kam er nah ran, dann würde er den Körperhaken oder Aufwärtshaken anbringen. Drei mal zwei Minuten mit je einer Minute Pause, das würde ich, rein konditionell, durchstehen. Er trug das hässliche HatewearT-Shirt. Sein Gesicht sah scheiße aus. Seine Tätowierungen sahen echt scheiße aus. Unsere Handschuhe berührten sich – das Zeichen dafür, dass es losgehen konnte.
    Meine Linke knallte zwei Mal gegen seine Deckung. Dann holte er aus. Ich sah ihn tief unten in der Hüfte Schwung holen. Gleich der erste Körperhaken fuhr durch meine Deckung hindurch. Ich spürte den Knacks und das Stechen, das von der geprellten Rippe kam. Sein Seitwärtshaken zog über meinen Kopf hinweg, der zweite Haken saß. Ich ging in die Knie. Mir blieb die Luft weg. Ich spürte die Matte des Boxrings unter den Kniescheiben und dassich, zwei, drei Sekunden lang, nicht auf die Beine kam. Mein Kopf baumelte auf der Höhe seiner Unterschenkeltätowierung.
    Ich sah ihn zurücktreten, hörte ihn nun, den Boxer mit dem Hatewear-T-Shirt, sagen: »Westsau …« Ich entgegnete nichts. Ich war vollkommen platt. Westsau?
    Hatte er das echt gesagt?
     
    Ich stand auf, lachte dumm, schüttelte den Kopf aus. Ich sah, dass René mit langen Armen vor mir stand und dass die Jungs, die hinter den Seilen des Boxrings standen, uns ansahen. Ich sagte: »Ah, cool …« Und ich wiederholte das dumme Wort, das René gesagt hatte.
    Der Trainer ging dazwischen. Er erklärte, dass er diese Sorte Auseinandersetzung in seinem Training nicht brauchen könne. Das, was hier abgehe, so Trainer Brunner, das könnten wir zu Hause oder in der Kneipe miteinander austragen. Hier, im Boxring, so der Trainer, galten seine Regeln, hier gelte es dem Sport. Er sprach vor allem mit René. Der Trainer warf Blicke zu mir herüber. René ging zur Bank. Er ließ sich die Handschuhe von seinem Kollegen Rico aufknüpfen, trat von einem Fuß auf den anderen, wobei er Reden schwang, die hitzig und wutentbrannt aussahen. Er ließ sich von dem, der ihm aus den Handschuhen half, beruhigen. Der Boxer René wirkte, als er die Handschuhe abgenommen bekam, gefährlicher als im Ring. Ihn hatte der Kampf erst so richig wütend gemacht.
     
    Ich wusste kurz nicht, wo ich hingehen oder hingucken sollte. Trainer Maik begleitete mich zur Glastür undschob mich aus der Trainingshalle hinaus. Draußen, vor der Halle, legte der Trainer einen Arm über meine Schultern: »Unter Sportsfreunden …«
    Er hatte wirklich eine gute Art. Er sagte, dass er mich, so gut es ginge, beschützt habe. Nun sei das vorbei. Nun solle ich mir einen anderen Club suchen. Trainer Maik Brunner erzählte mir noch einmal, mit ruhiger Stimme und während eine Hand auf meiner Schulter lag, wie er den Boxring Oberhavel e. V. in Zukunft aufzuziehen gedenke, auf die Jungen, die Nachwuchskräfte, die Neun- bis Zwölfjährigen käme es an, und ich verstand nicht ganz, warum er mir das alles noch einmal erzählte. Aber es fühlte sich soweit alles ganz sinnvoll an.
     
    Es war ein Juliabend, wir standen vor der Fitness-Factory in Oberhavel, es war mein letztes Training in der Kleinstadt, der Schweiß schoss mir aus allen Poren. Der Schmerz in meinem rechten Knie blieb komischerweise aus, und seit jenem Training würde sich der Schmerz im Knie nicht mehr melden.
    Es wäre besser gewesen, so verstand ich gerade – konkret, es wäre für die Geschichte, die ich zu schreiben hatte, besser gewesen, wenn ich diesen Kampf gewonnen hätte (auch deshalb und vor allem deshalb, weil der Reporter aus dem Westen, der vom Proll-Fighter aus dem Osten auf die Fresse kriegt, eben so ein dummes Klischee war). Aber man konnte sich das, was passierte, eben nicht aussuchen.
    Meine Geschichte als Boxer in Oberhavel, so verstand ich, während ich mit dem Trainer vor der Halle stand und er von der glorreichen Zukunft des Oberhaveler Boxrings schwadronierte, meine ganze Geschichte als Boxer warein Flop gewesen. Die ganze Idee, mir als Reporter in der Kleinstadt einen Boxclub zu suchen, um so eine Basis zu haben, von der aus ich der Jugend und den Leuten in Umkleidekabinen und im Boxring näherkommen würde: ausgedacht, schwachsinnig, lächerlich. Überall, so merkte ich, hatte ich die Leute von Oberhavel quasi spielend kennengelernt, ich hatte diese ganze Kleinstadt, so sah ich es im Rückblick, mit dem Bierglas in der Hand aufgestellt. Bloß dort, wo ich eine sogenannte Basis gehabt hatte, wo ich Sport getrieben, geschwitzt,

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