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Deutschboden

Deutschboden

Titel: Deutschboden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Uslar
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…«
    Wie geht Nichtstun, Speedy?
    »Weeßicknicht. Nichtstun eben. Dumm rumsitzen. Quatschen.Dusselig labern. Fernsehgucken. Playstation spielen. Leuten auf’n Sack gehen. Von morgens bis abends saufen.«
    Was rät der Vater?
    »Der hält zu mir. Ich soll mir nichts ausreden lassen, sagt er. Ich soll einfach machen, was mein Herz sagt.«
    Wo wirst du in zehn Jahren sein, Speedy?
    »In zehn Jahren …«
    Er erzählte die rührende Geschichte, dass er nur einmal den eigentlich ja naheliegenden Ausflug nach Berlin gemacht habe. Da sei er bis Spandau gekommen, und da habe er sich gleich derartig verlaufen. Die Leute, das Chaos, der Verkehr. Er habe es gerade noch irgendwie auf den Zug nach Hause geschafft. Nein, Berlin sei nichts für ihn. Da habe er Angst, dass er vor die Hunde komme. Er erzählte, dass, wer von Oberhavel wegwollte, am besten gleich ins Ausland ginge. Im Ausland habe man noch Chancen.
    Er sagte: »Ich bin etwa fünf Jahre zu spät dran, ich hab es im Gefühl.« Er spuckte ein grandioses Geschoss zwischen die Gräser. Er sah plötzlich älter und ziemlich entschlossen aus, wie einer, der vielleicht doch etwas anzufangen wusste mit seinem Leben.
    Speedy sagte: »Ich würde hier gerne weg von hier, aber ich glaube nicht, dass ich’s hier wegschaffen werde. Das ist hier alles nichts: keine Zukunft. Nichts.« Speedy hatte die Hände in den Hüften, er guckte, so weit er gucken ging, in die Ferne, und sein Gesicht bekam einen harten und gefassten Ausdruck, als er sagte: »Ich werde hier verrotten.«

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24 An alten Tischen
    Ich war schon weg, aber noch ein bisschen da.
    Zu den Jungs – zu Raoul, Eric, Rampa, Crooner, zu Blocky, aber auch zu einigen der Tankstellen-Jungs, besonders zu Hundertzehn-Prozent – hatte ich Freundschaftsgefühle. Damit war die Zeit abgelaufen, in der ich die Jungs beobachten und beschreiben konnte.
    Mit Raoul unternahm ich etwas, was großen Spaß machte (aber diese Sache blieb unter uns, dies gehört hier nicht hin).
    Mit Eric drehte ich eine Stadtrunde in seinem Astra. Wenn Eric mich begrüßte, dann immer so, als hätten wir uns wochenlang nicht gesehen. Großes Hallo, umständlich ums Auto herum laufen, Sonnenbrille abnehmen, Umarmung, beim Händeschütteln rechts und links die Hauptstraße hinuntergucken: »Gibt’s ja nicht, Hallöchen, alte Scheiße, was geht ab?« Dabei hatten wir erst gestern im Proberaum beieinander gesessen.
     
    Wir standen über drei Stunden lang gegenüber vom Eiscafé, der Fahrer Eric hatte das rechte Bein auf dem Armaturenbrett, den linken Ellenbogen ins offene Fenster gelegt, das war die Stadtrunden-Fahrer-macht-Pause-Stellung, und er erzählte mir von den Autos, die er in seinem Leben besessen hatte: »Erst einen Peugeot 105, etwa fünftausend Jahre alt, den habe ich gegen drei Eintrittskarten bei einer Show von einem Monstertruck plattmachen lassen. Dann kam ein Peugeot 19, scheißbraun, dann ein VW Polo, dann der hier.« Bei dem Astra sei die Kühlung kaputt, deshalb ließe er die Lüftung ständig laufen.
     
    Eric stellte mir jeden einzelnen Asozialen vor, der im Auto oder auf dem Fahrrad vorbeigefahren oder zu Fuß vorbeigeschlichen kam. Es waren herrliche Geschichten. Und ich genoss, dass Eric anders – ich konnte nicht genau sagen, auf welche Art –, aber eben anders war als die anderen.
    Und Eric sprach, den Blick durch die Windschutzscheibe auf die Hauptstraße von Oberhavel gerichtet, das Gesicht hinter seiner Sonnenbrille: »Du stehst auf und sagst: Was machst du heute? Du sagst: nichts. Die anderen fahren zur Arbeit. Du machst den Fernseher an. Kiekst Internet.
    Spielst bisschen Gitarre. Fährst in die Stadt. Fährst bei einem gucken, der auch arbeitslos ist. Und am nächsten Tag geht die Scheiße wieder von vorne los.« Wir guckten raus. Und wir standen noch einmal, mindestens eine Stunde lang, einfach so da.
     
    Mit Rampa saß ich einen ganzen faulen langen Nachmittag am Hafen, wir saßen auf Liegestühlen in der Sonne und schauten auf die Havel, die still, grün, müde und trüb vor sich hin floss, das Ausflugsschiff »Zehdenixe« und der Hauskahn »Rügen II« zogen vorbei, und wir soffen Bier: ein Bier nach dem anderen. Und dann, weil’s so schön war, noch ein Bierchen. Mit dem Job als Piercer hatte es natürlich nicht geklappt. Das, so Rampa, sei ja von Anfang an ein Quatsch gewesen.
    Rampas Knie waren kaputt, eine Kniescheibenfehlstellung. Noch drei, vier Jahre, so der Arzt, könne Rampa auf dem Bau arbeiten, dann

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