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Deutschboden

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Titel: Deutschboden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Uslar
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Schützlinge über viele Jahre immer wieder in die Bundesliga und in internationale Kämpfe geführt), saß vor der Halle und rauchte eine.
    Bohley sagte, er könne ein bisschen was erzählen, er tät’s nicht gerne, aber er könne es schon machen, sofern man denn eine vernünftige Frage an ihn habe, und dann sprach der Trainer gleich eine Verteidigungsrede, obwohl ihn niemand angegriffen hatte: Das mit den Nazis in Schwedt, so Bohley, das sei doch alles Pillepalle. Der Integrationsbeauftragte bei ihnen im Verein sei ein Schwarzer, gebürtig aus Mosambik, Isidor mit Vornamen, im Verein würde er aber nur Schneeball genannt. Ein feiner Kerl sei derSchneeball, und dass der Club einen Integrationsbeauf-tragten vorzuweisen habe, das sei ja wohl ein Zeichen. Als Schneeball gerade, während Bohley erzählte, um die Ecke kam, forderte ihn der Trainer auf, sein Hemd zu heben und seine Bauchmuskeln zu zeigen, und Schneeball tat, was ihm befohlen, der Reporter blickte auf die immens hart trainierte Bauchmuskelplatte des Integrationsbeauftragten, und Schneeball lachte.
    Der Trainer erzählte nun, dass es in Schwedt Nazizeiten gegeben habe, natürlich, damals, nach der Wende, als alle ein bisschen verwirrt gewesen waren, aber das sei vorbei: »Wir haben immer dafür gekämpft, dass es bei uns keine Diskriminierung gibt. Wer den Sport mitmacht und dahintersteht, den akzeptieren wir. Ist doch scheißegal, ob gelb, grün, rot oder schwarz. Ja! Is’ so!«
     
    Am Ost-Highway Werner-Seelenbinder-Straße parkte ich am vierten Abend meines Aufenthalts in der Oder-Stadt meinen 500er und gab, am offenen Kofferraum stehend, meinem Kumpel in Berlin meinen Standort und den Stand der Recherchen durch.
    Ich fand’s irgendwie lächerlich, einfach überflüssig, die Plattenbauten deprimierend zu finden. Die fänden doch sowieso schon alle deprimierend, da bräuchte es doch nicht mich noch zu. Obwohl sie – ganz in echt – natürlich echt deprimierend waren.
    Ich konnte schwer entscheiden, ob ich die Plattenbauten hässlich oder schön finden sollte.
    Das erzählte ich alles meinem Kumpel.
    Schwedt an der Oder?
    Plattenbauten?
    Der Kumpel am Telefon erzählte von der amerikanischen Lifestyle-Zeitschrift Vice , die vom Hip-Hop, vom BMX –, vom Skateboard-Fahren und vom Über-dicke-Titten-Ablachen kam. Der deutsche Vice – Ableger, so der Kumpel, habe – sei schon ein paar Jahre her – ein Schwedt-Heft produziert. Legendäre Ausgabe, grandioses Heft. Mit Neonazi-O-Tönen, Modeproduktion mit Schwedter Assi-Kids, die ihre weißen Bäuche und Tätowierungen in die Kamera hielten, und mit schmissigen Überschriften wie »Schwedt-Porno« und »Bomben über Schwedt«. Also einmal voll mit dem dicken Berliner Lifestyle-Stift über das ganze Ost-Elend und die Plattenbauten drübergefahren. Das Heft habe bei den Lead Awards in Hamburg, der jährlichen Auszeichnung der besten Beiträge in Internet und Print, einen Preis gewonnen.
    Überhaupt Plattenbauten, sagte der Kumpel am Telefon. Bei Plattenbauten falle ihm leider immer das Plattenbau-Quartett ein, das sich junge Akademiker-Menschen, die Berliner Medien-Haute-Volée, als Ausdruck ihrer Überheblichkeit und ironischen Distinktion gegenseitig zum Abendessen mitbrächten: widerliche Plattenbauten. Der Plattenbau sei eben längst im ironisch-akademischen Lifestyle-Mainstream angekommen.
     
    Da kam eine Plastiktüte mit fünfzig Stundenkilometern die Straße hinuntergefetzt.
    Fetz.
    Flatter, flatter.
    Die Tüte blieb in einer der Birken am Rand des Highways hängen, riss sich los, stand kurz quer auf der Fahrbahn und tanzte über den Horizont davon.
    Ein Auto, klein, rot, laut, mit UM – Nummernschild, bog auf den Highway ein, schaltete hoch, bremste runter, kam in Schrittgeschwindigkeit näher und zog, als es auf einer Höhe mit meinem 500er stand, mit Vollgas und dröhnendem Auspuff davon. Voll gut. Immer wieder ein schönes Manöver. Klassischer Auftritt.
    Es gab hier, zwischen Plattenbauten in Schwedt, nichts mehr zu erledigen.
    Ich fuhr zurück nach Berlin und dann gleich noch einmal in die Plattenbau-Stadt Schwedt hinein, nur, um mir beim Aufwärmtraining in der »Boxsporthalle Günther Jähnke« eine Rippe zu prellen und das rechte Knie so gründlich zu verdrehen (Verdacht auf Innenbandriss), dass ich die nächsten Wochen nicht mehr ohne Schmerzen würde auftreten können.
     
    An einem Feiertag, Freitag, den 1. Mai – es war halb zehn abends und vor fünf Minuten dunkel geworden, ich

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