Deutsche Geschichte Von 1815-1870
Auch dort ging die erste Bewegung nicht von der Residenz, sondern von
Hanau
, der zweiten Stadt des Churfürstenthums aus; auf höheren Befehl von Kassel sollte dort schleunigst die Bürgerwehr, welche sich, wie dies aller Orten geschah, rasch gebildet hatte, entwaffnet werden, aber diese widersetzte sich diesem Vorhaben und eine Deputation begab sich nach Kassel um ihre Wünsche vorzubringen. Doch gelang es derselben nicht, den Widerstand des Fürsten zu brechen. Als nun Tag um Tag verging und die Hanauer Deputation immer nicht zurückkehrte, bereitete man in Hanau wie in der ganzen Umgegend einen großartigen bewaffneten Zug nach der Residenz vor; an der Spitze desselben standen die Hanauer Turner. Diese Turner, denn auch die Neubildung von lange verpönt gewesenen Turngemeinden begleitete die deutsche Erhebung, organisirten den Widerstand ganz militärisch. Sensen und Piken wurden geschmiedet, dreifarbige Fahnen und Schleifen durch die Frauen ausgetheilt, und an dem Jubel, der sich nun in dem Großherzogthum
Hessen
erhob, entzündete sich der Widerwille gegen das Regiment des Kurfürsten noch heftiger. Schon sprach man laut davon, denselben zu verjagen, die beiden Hessen wieder unter einem Fürsten zu vereinigen, und schamroth blickten die begeisterten Kurhessen auf das großartige Fest, welches gerade in diesen Tagen die
Mainzer
vorbereiteten, um den Sieg der Freiheit zu feiern. Die ganze Stadt wurde glänzend beleuchtet, ein Fackelzug von Tausenden bewegte sich durch die Straßen mit dem Bürgermeister und Gemeinderath an der Spitze, vom Balkon des Theaters herab hielt
Zitz
eine begeisterte Ansprache an die Versammelten, in der er für die errungenen Güter dankte, und dann Alle zum feierlichen Schwure aufforderte, mit Gut und Blut an ihnen festzuhalten. Tausendstimmig, mit erhobenen Armen, wurde dieser Schwur ihm nachgerufen zum Sternenhimmel empor, während die bengalischen Flammen, welche den alten, ehrwürdigen Dom beleuchteten, die enthusiastischen Gruppen mit rothglühendem Lichte umhüllten. – Von gleichem Enthusiasmus getragen, riefen jetzt auch die Hanauer, und Alle die sich ihnen angeschlossen hatten: »Sieg oder Tod!« Schon war die Hanauer Deputation nach langen, vergeblichen Bemühungen im Begriff Kassel wieder zu
verlassen
; dies sollte das Signal zum Angriff auf die Residenz, die sich selbst schon in wildester Gährung befand, geben; schon heulten die Sturmglocken, schon machte sich Jedermann bereit, da – in der letzten Minute, kam Befehl von Wilhelmshöhe, die Hanauer zurückzuhalten, man wolle mit ihnen unterhandeln. So fügte sich denn auch der Kurfürst endlich in das Unabänderliche. Sein verachteter Minister
Scheffer
entfloh, vom Landvolke bis über die Gränze verfolgt, nachdem er sich Tage lang versteckt gehalten, alle dessen Creaturen wurden entlassen, und der Märtyrer
Jordan
, der so schwer gelitten, im Triumphe wieder in die Kammer geholt und ihm seine Professur zurückgegeben. Hier wie überall traten dann an die Stelle des Widerstandes, Illuminationen, Fackelzüge, Feuerwerke, und die lautesten Ausbrüche der Freude. –
Gleichzeitig mit Kurhessen hatte auch Nassau seine Revolution, seinen Ministerwechsel, wie die Bewilligung seiner Forderungen und unaufhaltsam ging die Bewegung auf Norddeutschland über. In der Regel machte eine bedeutende Nachbarstadt der Residenzen den Anfang, wie wir es schon einige Mal gesehen, bis dann die Letzteren mit ergriffen wurden. In Sachsen ging
Leipzig
mit
Biedermann, Robert Blum
und
Arnold Ruge
an der Spitze voran. Auch dort versuchte man zuerst von Dresden aus Widerstand, dann folgte Ministerwechsel und Nachgeben. In Hannover, wo ein nicht minder halsstarriger Fürst als in Kurhessen regierte, wehrte man sich gleichfalls ein Weilchen, da zogen am 17. März die Göttinger Studenten gegen Hannover aus, am 18. wurde Bürgermeister
Stüve
von Osnabrück zum Minister ernannt, und am 19. war wie überall Alles voll Jubel und Freude, das siegende Volk ahnte freilich nicht, mit welch' arger Tücke man gerade in Hannover sich nothgedrungen, nur für den Augenblick liberal und national gesinnt geberdete.
Daß in den kleineren Staaten die Revolutionen nun auch einander Schlag um Schlag folgten, daß sie wie reife Birnen vom Baume fielen, konnte nicht fehlen; man stand des Morgens mit einer Revolution auf und legte sich mit einer Andern nieder, und nur Thoren, so meinte man, konnten noch zweifeln, daß nun Deutschland vollständig und für immer den
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