Deutsche Geschichte Von 1815-1870
auch dort wurde das Ministerium gewechselt und Volksmänner wie P.
Pfitzer, Duvernoy
und der Liebling der Schwaben,
Römer
, traten an die Spitze der Regierung. In das Entzücken und die Freude mischten sich indessen jetzt schon Befürchtungen; unruhig bewegt erhoben sich die Bauern und Fabrikarbeiter des badischen und würtembergischen Schwarzwaldes, und vom ersten Beginn an zeigte es sich, wie dicht hinter der politischen, das Schreckgespenst der socialen Umwälzung sich erhob, welche die Gemüther der großen Masse in ganz anderer Weise bewegte, als Alles, was man jetzt in den Kammern zu erringen strebte. Sehr richtig hob es ein Sprecher der Menge, der Fabrikant
Rau
von Gaildorf hervor, wie ein deutsches Parlament, so wünschenswerth er es auch erachte, dem Volke kein Brod geben, eine noch so gute Gesetzgebung nicht den Hunger zu stillen vermöge. Was hatte man nicht Alles zu thun versäumt, während der langen Ruhe- und Friedenszeit; wie drückten den Bauern noch an vielen Orten die Feudallasten, wie lagen Ackerbau und Gewerbe hülflos danieder! Nun aber rief die allgemeine Aufregung auch diese unzufriedenen Elemente mit auf den Kampfplatz, und alles arbeitsscheue Gesindel hing sich daran. Ganz ähnlich wie in den dreißiger Jahren, nur in weit ausgedehnterem Maße, wurden auch jetzt wieder die Grundbücher zerstört, die Amtshäuser und die Standesherrschaften mit dem kleinen Kriege bedroht, und die Juden auf dem Lande, leider nur zu oft die Aussauger des Bauern, verfolgt. Gestohlen wurde nur selten bei diesen Excessen, um so mehr aber zerstört. In den Gegenden, wo einst der Bauernkrieg gewüthet, der Bundschuh war aufgepflanzt worden, brach der Aufruhr zuerst los, um sich von da über ganz Deutschland zu verbreiten; oft war es nur sehr Geringes, was die Leute verlangten, weil eben ihre politische Unbildung sie nur das Allernächste als drückend empfinden ließ. So waren an vielen Orten: Laub und Streusel! die Signatur und das Losungswort der ländlichen Revolutionen, weil es nach dem Nothjahr von 1847 an Stroh für das Vieh fehlte, welches man durch Moos und dürre Blätter ersetzen wollte, ohne die Erlaubniß der Behörden dafür erlangen zu können. Charakteristisch genug für den politischen Bildungsstandpunkt des Volkes war dieses Begehren, und doch wieder einen tiefen Einblick in dessen Nothstand gewährend, daß man sich mit so Wenigem schon zufrieden gab. Einige Monate später, da hieß es freilich schon: Es wird getheilt! und vor den Augen der Gebildeten und Besitzenden erhob sich das Schreckgespenst des Communismus und schreckte sie zurück in die Reihen der Reaction, die ihr nur zu gerne mit diesem Schreckbild drohte. Man wurde dann in Handumdrehen eben so kleinmüthig und zaghaft, wie man zuvor großmäulig gewesen, und vergeblich blieben die Bemühungen einer kleinen Minorität, den Erschrockenen begreiflich zu machen, daß man die thörichten Ausschreitungen nicht überwältige, indem man sie gewaltsam niederschlage und ihren Ursprung ignorire, sondern nur, wenn man sich bemühe, das Uebel zu untersuchen und wo möglich zu heilen. Heute fehlt es uns freilich nicht an Aerzten aller Art dafür, und hoffen wir, daß sie den rechten Ausweg finden, nur wird es immer zu beklagen sein, daß man sich viel zu spät mit den Wünschen und Bedürfnissen des vierten Standes beschäftigte, und es namentlich versäumt hat, dem Volke jene Einsicht und Bildung zu geben, welche es befähigt, zwischen falschen und wahren Lehren zu unterscheiden. –
Doch wenden wir uns von dieser Aufzählung der Schattenseite unserer großen Bewegung, zurück zu der leuchtenden Freiheitssonne jener herrlichen Märztage, die Jedem unvergeßlich sein werden, der sie mit vollem Bewußtsein erlebt und durchgemacht hat. Wie im Badischen die Stadt
Mannheim
, so gab in Hessen
Mainz
den ersten Anstoß zu einer Bewegung des Großherzogthums. Dort schloß die Generalversammlung des Narrenvereins mit dem Rufe ab: »
Kein Carneval
, sondern Preßfreiheit und Volksbewaffnung!« Die Gesellschaft wandelte sich in eine großartige Bürgerversammlung um, welche beschloß, in einem Zuge nach Darmstadt zu ziehen und der Kammer eine Adresse zu überreichen, die sich zunächst an einen der Vertreter von Mainz, den Advocaten
Zitz
richtete, und es dürfte sich wohl hier am Besten verlohnen, eine kleine Probe von der Sprechweise der Adressen aus jenen Tagen zu geben, da gerade diese Mainzer Adresse eine der charakteristischsten, durch die Entschiedenheit
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