Deutsche Geschichte Von 1815-1870
ihres Ausdrucks ist. Sie begann folgendermaßen:
»Der mächtige Athem der Zeit hat den Dunst verweht, welchen Hofdiener und kurzsichtige Regierungsbeamte dem geistigen Auge der Fürsten vorzumachen bemüht waren. Ueberall ist die Stimme des Volkes laut geworden, und wo sie mißachtet wurde, hat der bewaffnete Arm die Rechte des Menschen zu fassen gewußt, die ihm eine verabscheuungswerthe Politik nur zu lange vorenthalten hat. Auch in Hessen ist mit den Zugeständnissen gegeizt worden und eine verblendete Regierung hat die Liebe des Volkes zu ihrem Fürsten in hohem Grade beeinträchtigt. In solchen Zeiten aber bewährt sie sich, und
Rheinhessens Bürger
werden die Treue bewahren, wovon sie schon so oft Zeugniß abgelegt. Aber sie verlangen dagegen mit allem Nachdruck
Alles
, was ihnen die Verfassungsurkunde zugesteht. Sie verlangen die Lösung der Presse von allen ihren Fesseln; sie verlangen, daß ihre
Gesetzgebung
, die Bürgschaft ihrer bürgerlichen Freiheit unangetastet bleibe. Sie verlangen, daß das stehende Heer, dieser fressende Krebs am Staatseinkommen, aufgehoben und
Volksbewaffnung
an dessen Stelle gesetzt werde, sie verlangen volle Freiheit des Gemeinde- und Volkslebens, ohne Polizeigewalt und Beamtenbevormundung; sie verlangen das Recht ihren Ständen die Wünsche und Bedürfnisse ihres Landes offen auszusprechen und sich zu diesem Zwecke zu versammeln. Sie verlangen endlich eine
Verfassungsurkunde
in zeitgemäßem Geist, ein besseres
Wahlgesetz, Gleichstellung und Freiheit
des religiösen Cultus, eine wahrhafte Vertretung des
deutschen Volkes
durch ein
Parlament
. – Die Zeit drängt. Soll den Ereignissen vorgebeugt werden, so müssen Thaten an die Stelle des leeren Wortschwalls treten. Die Kammer hat eine hohe Verantwortlichkeit gegen Fürst und Vaterland: möge sie sich ihres Berufs würdig erweisen!« –
Das war klar und bündig gesprochen; die Spitze richtete sich nicht gegen den Fürsten, sondern gegen den Minister
du Thil
, einen ächten Metternichdiener, und so wie hier, geschah es überall, daß man die obersten Beamten der Fürsten, nicht aber den Monarchen selber, anklagte. – Deputationen aus andern hessischen Städten fanden sich gleichfalls in Darmstadt ein, aber man zögerte dort irgend etwas zu bewilligen, statt dessen trat der
Prinz Emil
, ein Bruder des Großherzogs und entschiedener Freund Oestreichs, schnell eine höchst verdächtige Reise nach Wien an. In dieser Zwischenzeit war es, wo in Offenbach ein geflügeltes Wort, welches man nachher unzählige Male auf die Märzrevolution angewendet hat, laut wurde. Bei Gelegenheit eines Festmahles ließ man dort voreiliger Weise eine deutsche Fahne wehen, was die Polizei sehr übel nahm, den Arbeiter, der die Fahne befestigt hatte, vorlud und durchaus von ihm wissen wollte, was er sich dabei gedacht habe, worauf Jener die klassische Antwort gab, er habe gedacht: »Wenn nur der Nagel hält, daß die Fahne nicht herunter fällt!« – Der Nagel von 1848 hielt damals nicht, seitdem ist aber ein stärkerer eingeschlagen worden. Als die Bewegung mit jeder Stunde wuchs – in Mainz hatte Zitz am 4. März in einer Bürgerversammlung erklärt: »Unser Wechsel läuft schon 30 Jahre, dennoch wollen wir noch drei Tage gewähren, dann aber ziehen wir nach Darmstadt«, da berief man eiligst den damaligen Erbgroßherzog von München zurück, wo dieser bei seinem Schwiegervater weilte, und gerade den letzten Act der Lola-Komödie mit hatte abspielen sehen. Kaum wußten die liberalen Kammermitglieder, und ihr damaliger Führer ihnen voran,
Heinrich v. Gagern
, der jetzt dort wieder seinen Platz inne hatte und in welchem das hessische Volk seinen Retter und Befreier erblickte, die Bewegung bis zur Rückkehr des Fürsten niederzuhalten. Gleich nach derselben wurde er zum Mitregenten seines alten Vaters ernannt, und erließ sodann das Edict vom 6. März, durch welches Alles verheißen und versprochen ward, was man forderte. Der Freiherr du Thil wurde entlassen und
Gagern
, der des höchsten Ansehens genoß, dem man fast die Pferde ausspannte, als er am 6. März von Heidelberg zurückkehrend, durch die Straßen fuhr, zum Minister ernannt. –
Weniger rasch verliefen die Dinge in Kurhessen; dort war der halsstarrige Sinn des Fürsten wie immer zum äußersten Widerstand entschlossen und für den Fall, daß sein eigenes Militär sich unzuverlässig zeigen sollte – eine Befürchtung, zu der er allen Grund hatte – rechnete er auf preußische Hülfe.
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