Deutsche Geschichte Von 1815-1870
nicht davon; die Bürger Mannheims und die der benachbarten Orte hielten es für nothwendig, durch ihr persönliches Erscheinen in
Karlsruhe
der Sache mehr Nachdruck zu geben. Man sagte sich Folgendes: »Wir sind 1830 und 40 auch mit schönen Versprechungen hingehalten und dann bitter getäuscht worden; die Früchte der Julirevolution hat man uns ganz ebenso hinweggestohlen, wie den Franzosen; jetzt ist es Zeit mit Nachdruck zu verlangen, was uns gebührt!« – So zogen denn wirklich am 1.
März
von allen Seiten die Badenser nach Karlsruhe heran und wo man von ihrem Erscheinen wußte, empfing man sie im Bahnhofe mit jubelnder Begeisterung, während Frauenhände die Angekommenen mit schwarz-roth-goldnen Schleifen schmückten. Ein Zug von etwa 20,000 Menschen begab sich von da vor das Ständehaus, wo sie durch
Hecker, Itzstein
, Brentano und Andere empfangen wurden. Während die größere Menge draußen blieb, wurden von ihnen gewählte Deputirte, geleitet von den Volksvertretern, hereingeführt und hinauf in den Ständesaal gebracht, wo sie ein gleicher Jubel wie am Bahnhofe begrüßte. Aber ehe nun noch die Vorstellungen, die sie mitbrachten, verlesen werden konnten, verkündete bereits der Minister
Beck
, daß das freiere Preßgesetz von 1831, welches man auf Andrängen Oestreichs aufgehoben hatte, wieder in Kraft treten solle. Der Enthusiasmus, der nun losbrach, verbreitete sich nach Außen, setzte sich auf der Straße fort und im Ständesaal selber rief der Präsident Mittermaier, mit Thränen im Auge, aus: »In solch heiligem Augenblick dürfe man dem Ausbruch des Gefühls nicht wehren!« Als man sich wieder beruhigt, verlas
Hecker
die Petitionen, welche die Deputirten überbracht hatten. Die Forderungen, die sie enthielten, wurden, mit geringen Unterscheidungen, das Freiheitsprogramm für das ganze übrige Deutschland, und indem ich dieselben an dieser Stelle mittheile, mögen sie zugleich den Stand- und Zielpunkt aller Aufstände und Revolutionen bezeichnen, die von jenem Tage an ihre Runde durch alle sechsunddreißig deutsche Staaten machten. Eine Forderung von höchster Wichtigkeit war vorerst diejenige, welche dem Militär, dem Stützpunkt des absolutistischen Regiments, seine Ausnahmsstellung zu nehmen, den Soldaten zum
Bürger
zu machen versuchte. Man hoffte dies durch die
Beeidigung
des Heeres auf die Verfassung wirksam zu erreichen. Weiter verlangte man ein
Gesetz
über
Ministerverantwortlichkeit
und
Schwurgerichte
, eine gerechtere
Steuervertheilung
nach
Maßgabe des Eigenthums
(Vermögenssteuer), Abschaffung des bevorrechteten Gerichtsstandes für
Militär
und
Adel, Vertretung
des deutschen Volkes durch ein
Parlament, Unabhängigkeit des Richterstandes
, und endlich, was sich eigentlich von selbst verstand, ein neues Ministerium, dem das Vertrauen des Volkes und der Kammer entgegenzukommen vermöge. Während nun im Ständesaal beschlossen wurde diese Forderungen augenblicklich zu berathen, tagte auf den Straßen ein Volksparlament unter Leitung von
Hecker
und
Struve
, dieses fügte dann dem Genannten noch seine weiter gehenden Forderungen hinzu, die sogleich gedruckt und in Tausenden von Exemplaren verbreitet wurden. Dieses zweite, viel weiter gehende Programm verlangte überdies, das Volk solle das
Parlament selbst erwählen
, und zwar nach dem denkbar freisinnigsten Wahlgesetz; jeder Deutsche von 21 Jahren würde demnach
wahlberechtigt
, Jeder von 25 Jahren zur Wahl befähigt gewesen sein. Ferner forderte man
vollständige Lehrfreiheit allgemeines deutsches Staatsbürgerrecht
, folglich: Freizügigkeit, Abschaffung aller Vorrechte, Zünfte, Feudallasten u.s.w. und endlich eine gerechte Ausgleichung des Verhältnisses zwischen Kapital und Arbeit, womit die sociale Frage schon vollständig in die Bewegung mit hineingezogen war. – Wir sehen, daß es an Klarheit über das Gewollte nicht fehlte, wäre man sich nur auch eben so klar darüber gewesen, wie das Geforderte dauernd zu erringen sei!
Vom den eben erzählten Ereignissen in Baden an, war nun der Strom der Revolution nicht mehr zurückzuhalten und schon nach fünf bis sechs Tagen hatte er im ganzen Südwesten Deutschland's Alles weggeschwemmt, was man Jahrelang so künstlich dagegen auferbaut hatte, und wie einst die Franzosen die Tricolore, so pflanzte man aller Orten die schwarz-roth-goldene Fahne auf, um sich unter dem alten Reichsbanner zu einem freiheitlichen Leben zu einigen. Von Baden verpflanzte sich die Bewegung zuerst nach Würtemberg;
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