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Deutsche Geschichte Von 1815-1870

Titel: Deutsche Geschichte Von 1815-1870 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luise Buechner
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lagen sie kampfunfähig, todt, verwundet und berauscht auf ihren Standorten, während das Volk die Leichen seiner Gefallenen sammelte und sich zu neuem Kampfe vorbereitete. Im fahlen Morgenlichte gingen die Officiere, mit der Proclamation des Königs in der Hand, von Barrikade zu Barrikade und forderten die Kämpfer auf, die Waffen niederzulegen, aber sie hielten bald wieder inne, als sie die Erfolglosigkeit ihrer Bemühungen sahen. Mit lautem Hohne wurden die Versicherungen väterlicher Liebe, sowie auch die Versprechungen, welche die Proclamation enthielt, die von den Aufständischen, als von einer »Rotte von Fremden und Bösewichtern« sprach, aufgenommen. Anstatt sich zu entwaffnen, bereitete man sich zu neuem äußerstem Widerstande vor; die Färber setzten ihre Vitriolflaschen zurecht, sie auf die Soldaten auszugießen, man drohte das Schloß in Brand zu stecken und Stimmen wurden laut, mit dem Rufe: Nieder mit Friedrich Wilhelm! – Im Schlosse war inzwischen doch die Stimmung umgeschlagen; den Berichten die Möllendorf's Adjutant brachte, konnte man das Ohr nicht länger verschließen, man mußte ihm glauben, daß 40,000 Mann der besten Truppen von dem Volke besiegt waren. Als nun am Morgen des 19. März wieder eine Deputation von Stadtverordneten erschien, gab der König ihren Bitten und denen der angesehensten Einwohner der Stadt nach; er erlaubte ihnen in seinem Namen, dem Volke Frieden zu bringen. Das Ministerium dankte ab, Männer, die das öffentliche Vertrauen besaßen,
von Vinke
aus Westphalen,
Beckerath
aus Elberfeld,
Auerswald
und
Schwerin
wurden zu Ministern ernannt. Das Militär bekam den Befehl die Stadt zu verlassen, die vielen Gefangenen, die man in den letzten Tagen gemacht, sollten freigegeben werden.
    Es war ein schrecklicher Moment für die Truppen als sie ihren Abmarsch begannen; am erbittertsten war der Kampf gegen die Garde gewesen, deren adelige Officiere sich vielfach aufreizende Reden hatten zu Schulden kommen lassen, als sie jetzt mit klingendem Spiel abziehen wollte, zwang man sie die Trommeln zu dämpfen und den Choleramarsch zu spielen. – Vom Balkon des Schlosses herab versprach dann der König noch einmal die Freilassung der Gefangenen, die wohl 200 an Zahl zum Theil schon nach Spandau waren gebracht worden, dann bat er, man möge ihm eine Stunde Ruhe gönnen, aber sie sollte ihm nicht werden, denn die Menge, welche vor dem Schlosse wie ein Meer hin und her wogte, durchbrach jetzt ein langer, langer Trauerzug. Eine Anzahl von Männern trugen auf ihren Schultern sieben Bahren heran, darauf lagen unbedeckt die Leichen derer, die auf der Seite des Volkes gefallen waren, mit Kränzen von Immortellen und Immergrün geschmückt. Tausende folgten entblößten Hauptes dem Zuge, und wo er an Militärabtheilungen vorüberkam, mußten sie Halt machen und das Gewehr präsentiren. So zog man unter den Klängen des Chorals: Jesus meine Zuversicht! durch den Schloßhof, auf den großen Schloßplatz, und stellte die Bahren dicht unter dem Balkon des Königs auf. Jetzt verstummte der Choral, Mann an Mann stand barhaupt und nun erscholl der tausendstimmige Ruf: »König heraus! Er muß die Leichen sehen!« Es war eine markerschütternde, herzzerreißende Scene, ein Trauerspiel, wie kein Dichter es ergreifender erdenken kann, das sich jetzt hier abspielte. Zuerst zeigte sich Graf Schwerin auf dem Balkon, nach ihm Fürst Lichnowsky, Beide wollten sprechen, aber man hörte sie nicht oder wollte sie nicht hören; wie ein tosendes Meer brauste es fort und fort: »Der König soll kommen!« Endlich erschien er, die Königin, tief in Trauerkleider gehüllt, an seiner Seite. Nun hoben sich, von starken Armen getragen, die Bahren empor, man riß die Kränze hinweg, daß die klaffenden Wunden sichtbar wurden und die gebrochenen Augen dem Fürsten entgegenstarrten! – Furchtbar schön hat Freiligrath diesen Moment geschildert in seinem Gedichte: Die Todten an die Lebendigen! mit einer Wildheit und plastischen Kraft des Ausdrucks, wie es selten einem Dichter gelingt.
     
    »Die Kugel mitten in der Brust,
    Die Stirne breit gespalten,
    So habt Ihr uns auf blut'gem Brett,
    Hoch in die Lust gehalten,
    Hoch in die Luft mit wildem Schrei,
    Daß unsre Schmerzgeberde,
    Dem, der zu tödten uns befahl
    Ein Fluch auf ewig werde!« u.s.w.
     
    Vier, fünfmal versuchte der König zu sprechen, die Königin rang verzweiflungsvoll und bittend die Hände, in diesem Augenblicke wankte der Thron unter ihren Füßen!

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