Deutsche Geschichte Von 1815-1870
bildeten. Sie waren sich ihrer Zwecke und Ziele nicht minder klar bewußt als Jene; suchte man dort rechts alle Errungenschaften der Revolution als illegitim, als ungesetzlich wieder auszutilgen, so stellte man sich hier mit offnem Visir auf deren Boden und beanspruchte, kraft der Volks-Souveränetät, das Recht die oberste Behörde in Deutschland zu repräsentiren und von der Paulskirche aus die Verhältnisse neu zu ordnen, die
Einheit
und die
Freiheit
zu schaffen.
Zwischen diesen beiden Endpunkten bewegten sich die Männer der Mitte, die
Vertrauenden
, die Constitutionellen, welche die verheißenen Reformen Hand in Hand mit den Fürsten und ihren Regierungen auszuführen hofften. An und für sich würde dies ja schon das Richtige gewesen sein, wenn sie im Stande gewesen wären, sich des guten und aufrichtigen Willens jener Factoren zu versichern, wenn ihre Theorie, die sich hauptsächlich auf Preußen gründete, dort ein entgegenkommendes Verständniß gefunden hätte. Darum bewies die Linke so viel größeren politischen Scharfblick, daß sie von vorn herein verlangte, das Parlament solle sich schleunigst
eine Macht
, durch die Wehrbarmachung des ganzen Volkes, welches den Befehlen des Parlamentes zu gehorchen habe, erschaffen und zwar, so lange das Fürstenthum noch schwach und gebeugt sich fühle. Die Centrumsparthei nun umfaßte zumeist jene Männer, welche in den vergangenen 20–30 Jahren auf der Bresche gestanden und für die politischen Ideen gekämpft hatten, die sie jetzt auch verwirklichen wollten. Es waren die Professoren, die ehemaligen Burschenschafter, viele Märtyrer der vergangenen Zeit, die aber alt und ängstlich geworden waren, Flüchtlinge, die noch an den alten Standpunkten festhielten oder Solche, deren Kraft im Kerker zerbrochen worden. Zu ihnen gesellten sich freisinnige Beamte und der zahme, ängstliche Mittelstand, die sogenannte Bourgeoisie. »Durch Ordnung zur Einheit, durch Einheit zur Freiheit«, dies war das Losungswort dieser größten und einflußreichsten Parthei, deren Kern die preußische Fraction bildete, das heißt, diejenigen, die mit Recht, in der Hegemonie Preußens, in der Uebertragung der Kaiserwürde an Friedrich Wilhelm, die Lösung des Einheits-Räthsels erblickten. Aber weder Preußens König noch das preußische Land waren jener Sphinx zu vergleichen, die sich, als die Wahrheit erkannt wurde, freiwillig selbst aufgeben und vernichten wollten.
So ungefähr war die äußere Physiognomie des ersten deutschen Parlamentes beschaffen, als es Heinrich v. Gagern, der bald darnach sein Amt als hessischer Minister niederlegte, in feierlich gehobener Stimmung mit einer Ansprache eröffnete, an derem Schlusse er die Worte sprach: »Wir haben die größte Aufgabe zu erfüllen. Wir sollen eine Verfassung für Deutschland, für das gesammte Reich schaffen. Der Beruf und die Vollmacht zu dieser Schaffung,
sie liegen in der Souveränität der Nation
!« Mit diesem stolzen Worte war viel gesagt, es wurde noch bedeutsamer, als er dann hervorhob, wie die Schwierigkeit, ja die Unmöglichkeit, unter den Regierungen eine Verständigung zu Wege zu bringen, der Versammlung den Charakter einer konstituirenden beilege. »Deutschland will Eins sein,
ein Reich
, regiert von dem Willen des Volkes, unter der Mitwirkung aller seiner Gliederungen!« Im Widerspruch mit diesen frohen Hoffnungen stand die Handlungsweise der preußischen Regierung, welche im selben Augenblick überall Wahlen vornehmen ließ, nicht für die Vereinigten Landtage, sondern gleichfalls für eine konstituirende Versammlung, »zur Vereinbarung der preußischen Staatsverfassung«, wie es in dem königlichen Patente hieß, die sie auf den 22. Mai einberief. Das preußische Volk, hocherfreut darüber, daß ihm endlich die heißersehnte Verfassung zu Theil werden sollte, betheiligte sich lebhaft bei den Wahlen für sein Berliner Parlament. Was sollte dies nun für eine deutsche Einheit werden, wenn man von zwei Seiten zugleich auferbaute? Von vornherein fiel dieser Erisapfel in die Versammlung der Paulskirche, die erregtesten Debatten hervorrufend, welche bald in einem unausbleiblichen Principienkampf gipfelten. Die Linke beantragte, die Versammlung, als das einzige Organ des Gesammtwillens der deutschen Nation zur Begründung der Einheit und Freiheit, solle beschließen, daß nur ihr allein die Beschlußnahme über die Verfassung Deutschlands zustehe, und daß die Verfassungen der einzelnen deutschen Staaten nur in so weit
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