Deutsche Geschichte Von 1815-1870
gültig seien, als sie mit der zu errichtenden deutschen Verfassung übereinstimmten.
Zu solch kräftigem Auftreten konnte sich jedoch die Mehrheit des Parlamentes nicht entscheiden, und man vereinigte sich endlich, aber fast mit Stimmeneinheit, zu einer abgeschwächten Erklärung, die noch für's Erstemal das Princip der Volkssouveränetät rettete. Bei diesem Anlasse hatten sich die Geister und Kräfte tüchtig gemessen; man sah jetzt deutlich, wie unendlich schwierig die ganze Lage des Parlamentes war, denn als Halbe zeigten sich jetzt gar zu Viele, die man früher für Ganze genommen hatte, und besonders trat dies bei der preußischen Fraction hervor, die sich fürchtete, durch einen kräftigen Entschluß in Berlin anzustoßen.
Trotz dieses ersten Sieges fehlte es nicht an klarblickenden Männern in der Paulskirche, welche jetzt schon mehr oder weniger die Ohnmacht des Parlaments tief empfanden, trotz seiner glänzenden Außenseite. Zunächst mußte jetzt eine äußere Gewalt, auf die es sich stützen konnte, geschaffen werden, diese erblickte man in einer bewaffneten Macht, einer Volkswehr und in einer provisorischen, vollziehenden Behörde oder Centralgewalt. Die große Frage war nun die, in welcher Art und Weise diese Centralgewalt organisirt werden sollte. Ein Antrag, welcher kurzer Hand die Uebertragung derselben, bis zur definitiven Begründung einer obersten Regierungsbehörde für Deutschland, an die Krone Preußen empfahl, wurde mit schallendem Gelächter entgegengenommen. So groß war leider in jenem Augenblick die Unpopularität des Königs, daß dieser einfachste und richtigste Ausweg unmöglich ward. Jede Parthei suchte nun ihre Wünsche und Ziele geltend zu machen; die äußerste Rechte wollte, mit einigen Modificationen am Bundestage festhalten, die Monarchisten verlangten einen
fürstlichen Reichsverweser
oder auch
Bundesdirector
, die Republikaner einen
verantwortlichen Präsidenten
. Im Namen des Ausschusses, der die verschiedenen Vorschläge zu prüfen hatte, stellte endlich Dahlmann den Antrag auf ein Directorium, bestehend aus
Oestreich, Preußen
und
Bayern
, welchem letzteren sich die kleineren Staaten anschließen sollten. – Gegen diesen Vorschlag, mit dem es Dahlmann auch nicht ernstlich meinte, denn seine Sympathieen und Hoffnungen waren Preußen zugewendet, kämpfte die
deutsche Zeitung
in Heidelberg, welche in jenen Tagen eine Macht repräsentirte, unermüdlich an. Ihre Sympathieen waren gleichfalls für
Preußen
, und mit den schärfsten Gründen machte sie geltend, wie es der einzige Staat sei, auf den ein
neues, einiges Deutschland
sich fest begründen könne. Man sprach dort namentlich die durchaus richtige Ansicht aus, daß es nichts helfen könne,
eine Persönlichkeit
an die Spitze zu stellen, wenn nicht ein mächtiger Staat hinter derselben stehe, ihr Ansehen und Macht zu verschaffen. Die Hauptfrage aber blieb immer diejenige, ob die Dynastieen, die sich im Besitze der äußeren Gewalt, des Geldes und der Armeen befanden, den Beschlüssen des Parlamentes sich würden unterwerfen wollen oder nicht. – Man kann so viele Jahre später der Linken des Parlaments kaum den Vorwurf ersparen, daß sie dieses Verhältniß zu wenig anerkennen wollte, sondern glaubte, mit einer bloßen Berufung an die Nation sei Alles gethan. So glänzend auch die Reden waren, die sie damals hielten – man kann sich heute der nüchterneren Anschauung des Centrums, welches jenen Punkt oft betonte, kaum verschließen. So lange die Regierungen existirten, mußte man mit ihnen rechnen, und welche mächtigen Stützen sie in dieser Versammlung selbst hatten, dies bewies sich während der sechstägigen Debatten, über die
provisorische Centralgewalt
, welche am 18. Juni begannen. Es war ein gewaltiger Geisteskampf, der jetzt um die Frage geführt wurde:
Wer
soll dieselbe schaffen? Sollte sie aus der freien Wahl des Parlaments oder aus der Souveränität des Volkes hervorgehen, sollten die Regierungen sie bestätigen oder wohl gar ernennen? Die äußerste Linke verlangte vorerst die Aufhebung des Bundestages und dann die Ernennung eines verantwortlichen Directoriums durch das Parlament. Die äußerste Rechte wünschte in der neuen Centralgewalt eine Fortsetzung des Bundestages zu sehen, wenn sie dies auch nicht gerade offen aussprach, und wollte sie jedenfalls von den Regierungen ernannt sehen. Zwischen diesen beiden Extremen bewegten sich die Debatten, um ein Verhältniß, welches
Arnold Ruge
in seiner
Weitere Kostenlose Bücher