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Deutsche Geschichte Von 1815-1870

Titel: Deutsche Geschichte Von 1815-1870 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luise Buechner
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die größte Thorheit mit Weisheit und Einsicht. Ein großer Theil der Abgeordneten bestand aus Bauern, die gekommen waren, ihre schwer gekränkten Rechte zu vertreten, während sie für alles Uebrige weder Interesse noch Verständniß hatten, aber nicht bei ihnen allein, auch bei den Gebildeten, trat oft jene volle Unklarheit zu Tage, wie sie sich überall bekunden muß, wo ein Volk noch in den Kinderschuhen des politischen Lebens steht.
    Auf der rechten Seite hatten sich die
Czechen
gruppirt, neben ihnen die ruthenischen und galizischen Bauern, die häufig an den Blicken ihrer geistlichen Führer hingen, die sie lenkten und leiteten; im Centrum saßen die sogenannten
Schwarzgelben
, die Tyroler und die Conservativen aus den altöstreichischen Provinzen; die Linke repräsentirte das eigentliche Deutschthum und die demokratische Parthei. Ungarn und Italien waren in diesem Reichstage nicht vertreten. Noch vor der Eröffnung desselben hatten die heftigsten Streitigkeiten in den Vorsitzungen wegen der
Geschäftssprache
stattgefunden; die Böhmen verlangten, weil die Slaven die Mehrzahl bildeten, daß ezechisch gesprochen werde und es kam darüber zwischen Böhmen und Deutschen bis zu Schlägereien auf offener Straße. Nur mit der größten Mühe wurde es endlich gegen sie durchgesetzt, daß man sich der deutschen Mundart bediente. Für diejenigen, welche derselben unkundig waren, wurden besondere Dolmetscher angestellt. Kaum aber war der Reichstag eröffnet, als es sich schnell herausstellte, wo eigentlich der Schwerpunkt und die volle Bedeutung desselben zu suchen war. Nicht sobald war diese Arena eines öffentlichen Lebens gebildet, als sich ein Schrei der Erbitterung und des tiefsten Grolles losrang aus der Brust dieser unwissenden und von Politik nichts verstehenden Bauern, ein Schrei, der nun endlich Hoffnung hatte, gehört zu werden, und der jetzt laut gegen den unerträglichen
Feudaldruck
protestirte, welcher immer noch auf den östreichischen Provinzen und ganz besonders auf dem unglücklichen Galizien lastete.
    Fluch dem Herrn! dies war seit langen Zeiten dort das Losungswort des Unterdrückten gegen den Unterdrücker und schon in der ersten Sitzung des Reichstages klagte ein galischer Abgeordneter sie mit den bitteren Worten an: »Der Bauer hat keine Wohnung, keine Kleidung! Alles haben ihm die Herrn genommen!« –
    Es war ein Deutscher, ein junger Arzt,
Hans Kudlich
aus Wien, der sich eben auf seine Doctorprüfung vorbereitete, das jüngste Mitglied der Versammlung, welcher diese brennende Frage aufgriff, und schon am 26. Juli in der dritten Sitzung des Reichstags den Antrag stellte, »die hohe Versammlung möge das
Unterthänigkeitsverhältniß
mit allen daraus entsprungenen Rechten und Pflichten aufheben, vorbehaltlich der Bestimmungen, wie eine Entschädigung zu leisten sei.« –
    Dieser Antrag versetzte alle Gemüther in die höchste Spannung; Jedermann sah ein, daß die Zeit der Feudalrechte vorüber sei; der Kampf, der jetzt entbrannte, galt nicht ihnen, sondern der Frage ob sie
mit
oder
ohne
Entschädigung aufzuheben seien. Von den seither so schwer Gedrückten wurde jede Ablösung hartnäckig verweigert, von den Grundbesitzern jedoch, namentlich von dem polnischen Adel, ebenso hartnäckig verlangt. Zu diesen Letzteren hielt sich die Rechte, zu Jenen die Linke, während der bedrängte Kudlich eine Vermittelung erstrebte und seinen ursprünglichen Antrag durch Angabe der zu leistenden Entschädigungen zu ergänzen versuchte. So kam am 8. August sein Antrag auf die Tagesordnung des Reichstages und wurde öffentlich debattirt, nachdem er ihn durch eine schwungvolle Rede näher motivirt hatte, an derem Schluß er den Reichstage feierlich mahnte »er möge das Wort aussprechen, welches als Friedensbote mit dem Oelzweige in die Hütte des Armen und Gedrückten fliegen, aber ein Donnerwort in den Palästen der Großen sein werde!«
    Kudlich's Appell fand leider nicht den rechten Widerhall; es zeigte sich unter den Besitzenden in dieser Versammlung nichts von jenem großmüthigen Elan, der einst in jener denkwürdigen Augustnacht von 1790 den französischen Adel fortgerissen, und ihn freiwillig und ohne Entgelt auf alle seine seitherigen Vorrechte hatte verzichten lassen. Es entbrannte ein parlamentarischer Kampf über die Entschädigungs-und Ablösungsfragen, der einen vollen Monat währte, und der unerhörte Dinge zur Sprache brachte, durch die man sich in die finstersten Zeiten des Mittelalters

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