Deutsche Geschichte Von 1815-1870
6 Jahren die Oberhoheit über Deutschland führen. Ob Schmerling und seine Freunde ein solches Auskunftsmittet selbst für ausführbar hielten, bleibt dahingestellt, jedenfalls half es ihnen Zeit zu gewinnen und die Verhältnisse noch mehr zu verwirren. Nicht weniger ausführbar als Jenes war ohne Zweifel das Programm der Linken, welche gar kein monarchisches Oberhaupt, sondern nur, nach dem Beispiele der Vereinigten Staaten, einen freigewählten Präsidenten an der Spitze der Reichsgewalt sehen wollte. Theoretisch war der Vorschlag ja wohl nicht schlecht, er glich jede Eifersucht unter den Fürsten aus, aber wie konnte man sich nur einen Moment im Ernste einbilden, daß die jetzt wieder vollständig erstarkten Monarchieen sich einem solchen Präsidenten freiwillig unterwerfen würden? nur der Sturm des Märzen, nicht eine kühle, nachträgliche Berathung hätte solche Umwandlungen ins Leben rufen können.
So, wie wir heute mit ruhigem Blute die Verhältnisse überschauen, blieb gar nichts Anderes übrig, als Preußen an die Spitze Deutschlands zu berufen, wenn man überhaupt eine Einheit begründen wollte, und ebenso mußte man Oestreich, wenn auch mit blutendem Herzen, so rasch als möglich aufgeben.
Man hielt damals genau an demselben Punkte, wie im Jahre 1866, nur war der Wunsch, Oestreich nicht auszuschließen, selbst unter den preußisch Gesinnten, noch unendlich lebhafter, die allgemeine Einsicht über diesen Punkt noch ungemein unklarer, als später. – Um nun alle Theile zu befriedigen, erfand Gagern in dieser Verlegenheit die Theorie vom
engeren
und
weiteren
Bunde, in welch' Letzteren Oestreich mit seinem ganzen Staatencomplex, nach einer noch später zu vereinbarenden Uebereinkunft, eintreten solle, wogegen Deutschland seinen civilisatorischen Einfluß auf die slavischen Länder ausüben, oder, wie Gagern sich ausdrückte, »die Kultur nach Osten tragen werde.«
Duckwitz
faßte es practischer, indem er die Hoffnung aussprach, diese Verbindung durch ein
materielles
Band fest zu begründen.
Die logische Folge dieses Vorschlags wäre zunächst diese gewesen, daß die östreichischen Deputirten aus der Paulskirche ausgeschieden wären, aber dem mußte zuvorgekommen werden, und so traf, durch Schmerling veranlaßt,
am 28. December
die berühmte östreichische Note ein, durch welche Fürst Schwarzenberg rund heraus erklärte, daß Oestreich nimmermehr daran denke, seine Stellung als deutsche Bundesmacht aufzugeben, und daß es, wenn erst das Parlament das Verfassungswerk beendigt und eine innigere Verschmelzung der einzelnen Theile Deutschlands zu Stande gebracht habe, seinen Platz darin werde behaupten können.
Diese Note stand im vollsten Widerspruch mit dem Wortlaut des Programms von Kremsier, sie war ein Hohn auf die deutschen Einheitsbestrebungen, und alle Versuche, die jetzt Gagern machte, sich derselben zu accomodiren und aus dem Gifte dieser Note noch Honig zu saugen, mußten unausbleiblich scheitern; es ist ewig zu beklagen, daß sich durch diese Bemühungen das Reichsministerium, und mit ihm das Parlament, noch tiefer in diplomatische Winkelzüge verstricken ließ, als dies bereits der Fall war, daß man auch jetzt noch nicht mit berechtigter Derbheit Oestreich zurechtwies, sollte es auch zum offenen Bruche kommen. Es nützte nicht, daß Beckerath in richtiger Vorahnung der Versammlung das prophetische Wort zurief: »Das Warten auf Oestreich ist das Sterben der deutschen Einheit!« – Das Reichsministerium betrat aufs Neue den Pfad der Unterhandlung mit ihm. Es regnete von da an Noten und Gegenvorschläge von allen Seiten her, jede Regierung hatte ihren besonderen Vorschlag, und als nun mit dem 1.
Januar
1849 der Tag erschien, an welchem nach Parlamentsbeschluß
die deutschen Grundrechte
in ganz Deutschland sollten eingeführt werden, geschah dies einzig und allein in
Würtemberg
. Nach und nach hinkten dann noch die kleineren Staaten diesem Beispiel nach.
Oestreich, Preußen, Bayern, Hannover
und
Sachsen
jedoch erklärten, daß sie erst nach vollendeter Reichsverfassung diese Pflicht erfüllen würden. – Zeit gewinnen hieß in diesem Augenblicke für die Regierungen Alles gewinnen und in der Nation selbst traten sich jetzt die
Kleindeutschen
oder preußisch Gesinnten und die
Großdeutschen
, welche Oestreich nicht aufgeben wollten, einander feindselig gegenüber. Diese letztere Bezeichnung faßte leider bald
Alle
in sich, die, unter dem schönen Vorwande, ein deutsches Land nicht
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