Deutsche Geschichte Von 1815-1870
konnte. Diese Politik des persönlichsten Egoismus vertrug sich denn auch trefflich mit der gegenwärtigen Lage Europa's, und, obgleich im Widerspruch mit der Wiener Congreßacte, wurde doch ein Kaiser, der sich den conservativen Interessen so vollständig ergeben zeigte, mochte er auch seine Laufbahn als Abenteurer begonnen haben, nach und nach von den europäischen Mächten anerkannt. Schwieriger wurde es ihm, eine Gemahlin aus den Reihen der gekrönten Häupter zu erhalten; durch mehrere Körbe gekränkt, entschloß er sich kurz, dem Zuge seines Herzens zu folgen und die schöne Gräfin Eugenie von Montijo, Herzogin von Teba, zur Kaiserin zu erheben, und 1853 seine Vermählung mit großem Pompe in der Kathedrale von Notre-Dame vollziehen zu lassen. Mit der Schlauheit des Corsen nur stets darauf bedacht, sich den übrigen europäischen Monarchen persönlich möglichst nahe zu stellen, bot sich ihm eine willkommene Gelegenheit zu einer achtunggebietenden Allianz dar, durch die eigenthümlichen Verhältnisse Rußlands zu der Türkei, die wir schon früher kennen gelernt haben. – Kaiser Nicolaus verfolgte unausgesetzt sein Ziel, sich die ausschließliche Herrschaft über das schwarze Meer und damit den freien Weg nach dem Orient zu erringen. Die Bestimmung, daß er nur eine beschränkte Anzahl von Kriegsschiffen auf dem schwarzen Meere halten dürfe, war ihm äußerst lästig, und so fest stand sein Entschluß, nun ein Ende mit der Türkei zu machen, und sie zu zerstückeln, sobald England darauf eingehe, daß er in den darauf bezüglichen Unterredungen mit Lord Seymour die Türkei schon nicht anderes, als den »kranken Mann« bezeichnete. England aber ging auf seine Vorschläge nicht ein, erklärte die Türkei noch für durchaus lebensfähig, bis endlich ein bereits schwebender Streit mit Frankreich, über die Schlüssel zum heiligen Grabe in Jerusalem, wobei Napoleon sich der Rechte der katholischen Pilger gegenüber dem griechischen Patriarchen annahm, der Ausgangspunkt eines mörderischen Conflictes ward. Der hohen
Pforte
war es ziemlich gleichgültig, wer diese Schlüssel zum heiligen Grabe besaß, als sie aber jetzt, wegen ihrer vorgeblichen Nachgiebigkeit gegen Frankreich, von Rußland hart bedroht wurde, und der russische Gesandte in Konstantinopel, Fürst Menschikoff, sich dort bereits als Herr und Meister zu geberden anfing, nahm Napoleon den Anlaß wahr, um zu zeigen, daß es noch eine christliche Macht in Europa gebe, die den Sultan zu beschützen vermöge, eine edle Aufwallung, welcher sich auch Oestreich augenblicklich anschloß. –
Trotz dieser warnenden Vorzeichen glaubte doch Rußland, die orientalische Frage nun endlich definitiv, und natürlich zu seinem Vortheil, lösen zu können, während genau aus demselben Grunde England und Frankreich sich zu Gunsten der Pforte und gegenüber den Anmaßungen Rußlands mit einander coalisirten. Napoleon III. trat mit diesem Schritte als vollständig legitimirt in das europäische Fürsten-Concert ein.
Das Auslaufen der französischen Flotte nach dem Bosporus gab Rußland den willkommenen Vorwand, die Donaufürstenthümer, welche unter türkischer Oberhoheit standen, zu besetzen. Dies geschah im Sommer 1853 und so kriegslustig waren alle Theile, weil ja eben Alle nur unter der Decke spielten, daß die Pforte bereits am 25. September Rußland den Krieg erklären ließ, wenn es nicht sogleich die Donau-Fürstenthümer wieder räume. Nicolaus nahm gerne den Fehdehandschuh auf, er zweifelte dabei gar nicht an Oestreichs Hülfe, dem er ja kaum erst in Ungarn so große Dienste geleistet hatte. Aber schmerzlich mußte nun auch er erfahren, was der Dank vom Hause Habsburg zu bedeuten habe; Fürst Schwarzenberg sprach es, als Antwort auf Rußlands Anliegen, unverholen aus, er werde die Welt durch seinen Undank in Erstaunen setzen, was auch wirklich der Fall war, als sich Oestreich jetzt in seine Neutralität zurückzog. Preußen that natürlich desgleichen, doch um so bereitwilliger zeigte sich Sardinien, an dem ausbrechenden Kampfe Theil zu nehmen.
Im Frühjahr 1854 erklärten England, Frankreich und Sardinien gemeinschaftlich den Krieg an Kaiser Nicolaus, und so entwickelte sich jener mörderische
Krimkrieg
, der unzählige Opfer kostete und sich bis zum Jahre 1856 hinzog, der Welt nach funfzig Friedensjahren zum ersten Mal einen Begriff davon gebend, wie entsetzlich die Kriege werden konnten, nachdem die steigende Ausbildung der realen Wissenschaften die Mord-
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