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Deutsche Geschichte Von 1815-1870

Titel: Deutsche Geschichte Von 1815-1870 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luise Buechner
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namentlich die Specialisirung der einzelnen Posten verstanden.
    Die preußische Regierung sah sich hier einem Dilemma zwischen unabweisbaren Forderungen, die sie zum größten Theile selbst großgezogen, zwischen ihren alten Traditionen und dem Gottes-Gnadenthum, und einem auf sein Recht pochenden Konstitutionalismus gegenüber, das nicht größer sein konnte. Einen Augenblick dachte der König sogar an seine Abdankung. – Den einseitigen preußischen Militärstaat wollten er und seine Anhänger schon an die Spitze Deutschland's stellen, aber der Geist der Zeit verschmähte eine Kraft, die nicht im Bunde mit allen Forderungen des Liberalismus und der Volksrechte stand. Ganz Deutschland verzweifelte an Wilhelm I., wie er beinahe an sich selbst, und ein süddeutsches, officielles Blatt rief damals aus: »Heute muß nicht bloß der Liberalismus, welcher jede mögliche Garantie für die Volksfreiheit begehrt, es muß ebenso der unbedingteste Anhänger der deutschen Einheit, der preußischen Regierung die Fähigkeit zu jener Führung in Abrede stellen!«
    Der Steuermann in dieser Noth, der jetzt als Ministerpräsident und Minister des Auswärtigen an die Spitze des reactionären preußischen Ministeriums trat und das Ruder des Staates am 9. October 1862 ergriff, war Herr von
Bismarck-Schönhausen
.
    Die wenigen Wochen, die er schon zuvor als Minister des Innern demselben angehört, hatten hingereicht, ihm das Vertrauen des Königs zu gewinnen, dessen Ansichten er gleichzeitig zu schonen und zu modificiren verstand, in einer Weise, wie es wohl nicht oft einem Sterblichen einen Andern gegenüber gelingt. Weniger glücklich war er mit der Kammer, wo man seinen Vermittlungsversuchen von Seiten der verschiedenen Partheien schroff entgegentrat. Man hielt den Minister allgemein für einen Junker, voll aristokratischer Anmaßlichkeit, wozu sein Auftreten in dem Erfurter Parlament, in den Jahren 49 und 50 manchen Anlaß gegeben. Wer konnte auch wissen, daß dieser geniale Kopf zu den Wenigen gehörte, denen die Geschichte ihrer Tage eine wirkliche Lehrmeisterin und Lenkerin für die Zukunft wird. Er suchte behutsam seine Anschauungsweise den liberalen Kammermitgliedern anzudeuten, indem er ihnen sagte, daß Deutschland vorerst nicht auf Preußen's Liberalismus, sondern auf dessen
Macht
sehen solle. Preußen müsse seine Kraft zusammenhalten für den günstigen Augenblick, der schon einigemale verpaßt worden sei. Die großen Fragen der Zeit würden nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse, sondern durch »Blut und Eisen« entschieden. Mit Entsetzen vernahmen Preußen und Deutschland dieses letztere Wort, und doch müssen wir heute Alle zugestehen, daß kaum ein anderes Mittel, die Einigung herbeizuführen, denkbar war. Bismarck aber hatte nicht allein den Muth, dieses Wort auszusprechen, er hatte den noch größeren, das ganze Odium eines starren, unversöhnlichen Aristokraten, eines Fürstendieners auf sich zu nehmen, und geduldig den Augenblick zu erwarten, da er trotz des Abscheues, den die Nation ihm zeigte, seine großen Pläne enthüllen durfte.
    Als er jetzt sah, daß mit der Kammer eine Verständigung nicht zu erreichen sei, indem sie wohl redlich auf ihrem guten Rechte verharrte, sich aber durchaus kurzsichtig für weitere politische Combinationen erwies, ließ er sie fallen. Das Herrenhaus bewilligte den Etat, welchen Jene beanstandet, der Landtag wurde Ende October geschlossen und die Militärreorganisation nahm ungehindert ihren Gang.
    Das Wichtigste bei des Herrn von Bismarck neuer Stellung war jedoch der Umstand, daß Oestreich nun in ihm bezüglich der deutschen Angelegenheiten einen diplomatischen Gegner bekam, der dessen Staatsmännern nicht allein gewachsen war, sondern sie an Schlauheit noch weit übertraf. Man hoffte von Wien aus, Preußen noch einmal das Prävenire spielen zu können; es bildete sich im Gegensatz zu dem National-Verein der Verein der Großdeutschen,
der Reformverein
, dessen Name allein schon die Anerkennung nothwendiger Reformen der Bundesverfassung aussprach, der aber von dem Grundgedanken geleitet wurde: das ganze Deutschland soll es sein! Dieser Reformverein, von vornherein mit stark ultramontanem Beigeschmack, fand seine hauptsächlichsten Anhänger in Bayern und auch in Würtemberg. Er befürwortete den neuesten Vorschlag Oestreich's, eine Vertretung der Nation in Frankfurt durch Delegirte aus den verschiedenen Kammern anzustreben, ein todtgebornes Projekt, dem sich sogar eine

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