Deutsche Geschichte Von 1815-1870
Es sprach sich in diesen Ausdrücken zwar die Anerkennung des Konstitutionalismus, doch in sehr beschränkter Weise aus, und sie ließen den Conflict vorahnen, der bald bezüglich der neuen preußischen Militärorganisation zwischen dem Monarchen und seinen Kammern ausbrechen sollte. Noch als Prinz-Regent hatte sich Wilhelm eifrigst bemüht, das gesammte Heerwesen Preußen's, welches sich in hohem Grade vernachlässigt zeigte, umzugestalten, wobei er wiederholt auf die nationalen Aufgaben hindeutete, welche Preußen für Deutschland zu erfüllen habe, und die leicht während des italienischen Krieges hätten auf die Probe gestellt werden können. Leider vermißte man jetzt bei der Thronbesteigung ein entschiedneres Aussprechen des Königs über seinen deutschen Beruf, namentlich als die zweite Kammer, bei Berathung der Vorlagen über das neue Militärbudget, erklärte, daß sie gern darauf eingehen werde, sobald Preußen's gesteigerte Macht im Interesse Deutschland's verwendet werden solle. Einer der Abgeordneten sprach es sogar unumwunden aus, daß eine Umgestaltung der Heeresordnung nur dann ihren Zweck vollständig erreiche, wenn zugleich die oberste Führung des
deutschen
Heeres in des Königs Hand gelegt werde, wie es denn überhaupt Preußen gebühre, an die
Spitze des deutschen Bundesstaates
gestellt zu werden! –
Mit Stirnrunzeln aber nahm die Regierung solche kühne Vorschläge entgegen, was die Kammer sichtlich verstimmte, und die Bildung einer großen Fortschrittsparthei zur Folge hatte, welche nur dann die geforderten Summen für das Heer bewilligt sehen wollte, wenn dadurch die deutsche Einheit und die freiheitliche Entwicklung Preußen's, wie Deutschland's, herbeigeführt werde.
Ein solches Programm aber, zu sehr an das Jahr 1848 erinnernd, war einem Theil der conservativen Parthei, wie der Regierung ein Gräuel, und es ist interessant sich jetzt daran zu erinnern, in welcher scharfen Weise sich damals Herr von Bismarck in einem Briefe über deren Aengstlichkeit äußerte. »Wir kommen dahin, den ganz unhistorischen, gott- und rechtlosen Souveränitätsschwindel
der
deutschen Fürsten, welche unser Bundesverhältniß als Piedestal benutzen, von dem herab sie Europäische Macht spielen, zum Schooßkind der conservativen Politik Preußen's zu machen. Wir schützen fremde Kronrechte mit mehr Beharrlichkeit als die eignen, und begeistern uns für die von Napoleon geschaffenen und von Metternich sanctionirten kleinstaatlichen Souveränitäten bis zur Blindheit gegen die Gefahren, mit denen Preußen's und Deutschland's Unabhängigkeit bedroht ist, so lange der Unsinn der jetzigen Bundesverfassung besteht, die nichts ist, als ein Treib- und Conservirhaus gefährlicher und revolutionärer Partheibestrebungen!« Im weiteren Verlaufe sagt er noch, daß es Preußen's Doppelaufgabe sei, zu zeigen, wie die Bundesverfassung
nicht
sein Ideal sei, daß es aber die nothwendige Aenderung auf rechtmäßigem Wege erstrebe; eine straffere Consolidation der deutschen Wehrkraft habe man so nöthig, wie das liebe Brod, wie auch neue gemeinsame Institutionen und warum man in Preußen vor einer nationalen Volksvertretung, welcher Art sie auch sei, zurückschrecke, sehe er nicht ein. –
Dieser kühne Zurechtweiser eines übertriebenen preußischen Conservatismus war damals Botschafter in St. Petersburg, wohin man ihn von Frankfurt aus versetzt, oder, wie er sich ausdrückte »kalt gestellt« hatte, weil er als Bundestagsgesandter zu gefährlich geworden war. Jetzt rieth man dem König dringend, Bismarck zum Ministerpräsidenten zu ernennen, in der Voraussicht, daß er der Mann sein werde, die Militärreform, welche eine große Mehrausgabe erheischte, auch gegen die Kammer durchzusetzen. Aber der König konnte sich dazu, wie zu einer deutschen Politik, noch nicht entschließen; er hatte ähnliche legitime Bedenken wie sein Bruder, so daß die öffentliche Meinung sich auch bald in ihm getäuscht zu sehen glaubte. Diese Stimmung fand ihren Ausdruck durch ein Attentat, welches ein fanatischer Student, Namens
Oscar Becker
, im Juli 1861 auf den König, während eines Aufenthaltes in Baden-Baden, unternahm. Becker's Schuß ging fehl, er wurde verhaftet, und gab als Motiv der That an, er habe den König aus dem Wege räumen wollen, damit ein Anderer auf den Thron komme, der die Mission Preußen's besser erfülle als Jener.
Schien diese aber wieder in weite Ferne gerückt, so regten sich dagegen neue Einheitsbestrebungen unter den
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