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Deutsche Geschichte Von 1815-1870

Titel: Deutsche Geschichte Von 1815-1870 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luise Buechner
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schlummerte, und was aus ihm hätte werden können, wenn zur glücklichen Stunde ein großer Mann seine Geschicke in die Hand genommen, ihm die Bahn der Entwicklung vorgezeichnet hätte, die es aus sich selbst heraus nicht finden konnte, wie denn überhaupt der Slave kaum fähig erscheint, aus eigener Kraft jene politische Selbstständigkeit und Freiheit der Selbstbestimmung zu erringen, wie sie der Germane erstrebt und oftmals erreicht hat.
    Polen fiel nach langem, blutigen Streite, und seitdem weit zerstreut über die Erde, ein moderner
Ahasver
, bildet der Pole und mit ihm vereint der unzufriedene Russe, ein stets gährendes Ferment, ein revolutionäres perpetuum mobile, das immer bereit ist, auf jedem auch noch so entfernt liegenden Felde gegen Fürstenallmacht mitzustreiten und mitzukämpfen, von der steten Illusion getragen, damit zugleich für ein
verjüngtes Polen
, ein constitutionelles Rußland zu fechten.
    Im Jahre
1832 ging mit der Einnahme Warschaus der blutige Kampf zu Ende, nachdem das oft geschlagene Rußland zu den äußersten Hülfsmitteln gegriffen und Polen mit Truppen wahrhaft überschwemmt hatte. Jenen voran zog das finstere Gespenst, die Cholera, die sie aus Asien mitgebracht; es raffte des Kaisers Bruder Constantin, den Statthalter Polens dahin, nach ihm den Feldmarschall
Diebitsch
, den früheren Besieger der Türken, der jedoch gegen die Polen vergeblich gefochten hatte. Erst dem Fürsten Paskiewitsch, seinem Nachfolger, gelang es endlich, Warschau mit Sturm zu erobern, wobei das Feuer einen Theil der Stadt zerstörte, und Ströme von Blut in den Straßen der Vorstadt Praga vergossen werden: dann entwickelte sich in Polen jenes furchtbare Schauspiel, welches der Geschichtsschreiber
Rotteck
mit den ergreifenden Worten schilderte: »
Kein Freiheitsruf mehr, nur der Siegesruf der moskowitischen Horden tönte noch über das leichenbedeckte, heilige Land
!« – Die Freiheitshymne der Polen, die sie so oft zu Kampf und Sieg geführt: »Noch ist Polen nicht verloren!« war umsonst erklungen; aber noch auf Jahre hinaus fand sie ihren begeisterten Widerhall in Deutschland, und wurde auch bei uns eine Art von Freiheitsgesang. Was man überhaupt damals in Deutschland für die Polen empfand, dies gab sich oft tausendfältig in Thränen und Schluchzen kund, wenn Holtei's Stück, »der alte Feldherr« über die Bretter ging und das Polenlied dabei ertönte. So groß war die Aufregung, daß Stück und Lied sogar des öfteren verboten wurde. – Doch durfte sich, namentlich in den kleinen Staaten am Rhein,
am
Neckar und Elbe auch
die That
der Begeisterung zugesellen. Durch das »organische Statut von 1832 wurde Polen
staatlich
vollständig zerstört, sein Wappen zerbrochen, seine Nationalarmee aufgelöst. Nur als
russische Provinz
sollte es noch unter der Statthalterschaft des Fürsten
Paskiewitsch
fortexistiren; das Einzige, was ihm von der früheren Selbstständigkeit verblieb, war eine gesonderte Verwaltung und Rechtspflege. Nun konnte es mit vollster Wahrheit heißen: Finis Poloniae! Aber man konnte doch am Ende nicht das ganze Volk vernichten, und so wurde denn zuletzt, nachdem man Tausende nach Sibirien geschleppt, eine allgemeine Amnestie erlassen. Wer diese entweder nicht benutzen wollte oder es verschmähte unter Rußland's Regierung zu leben, durfte das Land verlassen. In erster Reihe machte der ganze polnische Adel Gebrauch von dieser Erlaubniß; er fand seine Hauptsammlungspunkte in Dresden und in Paris. Am letzteren Orte fanden sich, da man von Frankreich immer noch das Meiste hoffte, die vornehmsten Häupter desselben zusammen und bildeten dort eine beständige, stets schlagfertige Revolutionsliga. Auch bot Frankreich den Flüchtlingen doch wenigstens ein Asyl, und so sah man denn Monate lang in langen Reihen die wirklich und die freiwillig Verbannten fort aus der Heimath ziehen, sich ein neues Vaterland zu suchen; wo sie aber auf ihrem traurigen Zuge deutsche Erde betraten, da drängte sich die Bevölkerung heran, sie zu speisen, zu herbergen und zu kleiden; man begrüßte sie laut als Märtyrer der Freiheit und beklagte ihre Schmach um so tiefer, als man der Eigenen nicht offen gedenken durfte. Tiefer und tiefer aber sank unter solchen Eindrücken die Liebe und der Glaube an die herrschenden Fürstengeschlechter, und bei Vielen fing die Ansicht an sich geltend zu machen, daß Fürst und Tyrann ein und dasselbe sei.
    Mit und hinter den Polen zog die furchtbare Geißel der Gegenwart, die

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