Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)
Salvatorbockes auf eurer Stirn tragt und nicht ‹Made in Germany› seid.»
Innerhalb kürzester Zeit war «Made in Germany», nicht unbedingt zur Freude der im Wettbewerb stehenden Nationen und Industrien, zum weltweiten Gütesiegel geworden. Und das ist es bis heute geblieben.
Der Ingenieur und Schriftsteller Heinrich Seidel widmete 1871, im Jahr der Gründung des Deutschen Reichs, dem deutschen Erfindergeist mit seinem Ingenieurlied eine feurige Hymne:
Dem Ingenieur ist nichts zu schwere –
Er lacht und spricht: «Wenn dieses nicht, so geht doch das!»
Er überbrückt die Flüsse und die Meere,
Die Berge unverfroren zu durchbohren ist ihm Spaß.
Er türmt die Bogen in die Luft,
Er wühlt als Maulwurf in der Gruft,
Kein Hindernis ist ihm zu groß – Er geht drauf los!
Den Riesen macht er sich zum Knechte,
Des’ wilder Muth, durch Feuersglut aus Wasserflut befreit,
Zum Segen wird dem menschlichen Geschlechte –
Und ruhlos schafft mit Riesenkraft am Werk der neuen Zeit.
Er fängt den Blitz und schickt ihn fort
Mit schnellem Wort von Ort zu Ort,
Von Pol zu Pol im Augenblick
Am Eisenstrick!
Was heut sich regt mit hunderttausend Rädern,
In Lüften schwebt, in Grüften gräbt und stampft und dampft und glüht,
Was sich bewegt mit Riemen und mit Federn,
Und Lasten hebt, ohn’ Rasten webt und locht und pocht und sprüht,
Was durch die Länder donnernd saust
Und durch die fernen Meere braust,
Das Alles schafft und noch viel mehr
Der Ingenieur!
«Dem Ingenieur ist nichts zu schwör!» Die begnadete deutsche Micky-Maus-Übersetzerin Dr. Erika Fuchs hat dieses Motto dem zerstreuten Erfinder Daniel Düsentrieb aus Entenhausen in den Mund gelegt: Das war, wie eingeweihte Donaldisten wissen, auch als stille Hommage an ihren Ehemann gedacht, der selber Ingenieur und Erfinder war. Über die Nützlichkeit mancher seiner Erfindungen – darunter Rückenkratzmaschinen, Glühwürmchenfänger und dampfbetriebene Weltraumraketen – mag man streiten. Manchen von ihnen wurde von den Entenhausener Behörden das Patent verweigert, etwa seinem Regenbogenspanner, mit dem sich eindrucksvolle Naturspektakel am Himmel inszenieren ließen. Das aber ist eine Erfahrung, die wohl ein jeder Tüftler in seinem Leben machen muss, in der Regel mehr als einmal.
Geht dieses nicht, so eben das: Diese Maxime machte sich auch ein praktisch veranlagter Deutscher aus dem Rheinland zu eigen, der sich durch besonderen Erfindergeist auszeichnete. Was hat er nicht alles erfunden! Eine Reaktionsdampfmaschine, einen Rechen mit integriertem Metallhammer zum Zerstoßen von Erdklumpen, einen elektrischen Insektentöter, einen Brausekopf für Gießkannen mit aufklappbarem Deckel, eine Blendschutzbrille für Autofahrer, ein Brotscheibenröstgerät mit Sichtscheibe sowie ein von innen beleuchtetes Stopfei. In den Zeiten des Ersten Weltkriegs, als das Fleisch knapp zu werden begann, erfand er eine spezielle «Wurst mit Friedensgeschmack» auf der Basis von Soja und ein «Rheinisches Schrotbrot» mit Mais, Gerste, Reis und Kleie. Die beiden letzteren Erfindungen blieben die einzigen, für die ihm ein Patent erteilt wurde. Das störte ihn nicht weiter, denn wie der Schneider von Ulm betrieb er das Erfinden als Nebenerwerb. Es handelt sich bei diesem Erfindergeist nämlich um den langjährigen Oberbürgermeister von Köln und ersten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland Konrad Adenauer. Einige seiner Modelle, darunter auch die Gießkanne mit klappbarem Brausekopf, kann man heute in der ständigen Ausstellung im Adenauer-Haus zu Rhöndorf bestaunen. Und wer weiß: Vielleicht muss man dankbar sein, dass dem «Daniel Düsentrieb von Rhöndorf» mit seinen Erfindungen kein rechter Erfolg beschieden war. Wer kann schon sagen, wie die Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik verlaufen wäre, hätte sich Adenauer statt auf die Politik hauptberuflich auf das Erfinden verlegt.
«Im Erfinder bewundert die Welt den Gott gewordenen Menschen», heißt es in Diderots Encyclopédie . «Es gibt nichts Schmeichelhafteres als eine Erfindung oder die Vervollkommnung in einer Kunst, die das Glück der menschlichen Gattung befördert.» Die allgemeine Euphorie über den technischen Fortschritt ist im 20. Jahrhundert einer verbreiteten Nüchternheit gewichen, nicht zuletzt hierzulande. Nicht jede neue Erfindung, nicht alles, was «in Lüften schwebt, in Grüften gräbt und stampft und dampft und glüht», was «Lasten hebt, ohn’ Rasten webt und locht und pocht
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