Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)
Höhe eine Lustwandlung ist, muss dem Faultiere als eine weite Reise erscheinen.» Und wehe ihnen, wenn «die armseligen Baumsklaven» auf dem Erdboden landen: «Ihr Gang ist ein so mühseliges Fortschleppen des Leibes, dass er immer das Mitleid des Beschauers wachruft. Der langsamen Landschildkröte vergleichbar, sucht das Faultier seine plumpe Leibesmasse fortzuschaffen. Mit weit von sich gestreckten Gliedern, auf die Ellnbogen gestützt, die einzelnen Beine langsam im Kreise weiter bewegend, schiebt es sich höchst allmählich vorwärts; der Bauch schleppt dabei fast auf der Erde, und Kopf und Hals bewegen sich fortwährend langsam von einer Seite zur anderen.»
Eines kommt zum anderen bei diesen unglücklichen Geschöpfen: «Es lässt sich von vornherein erwarten, dass die Faultiere nur ein einziges Junges werfen.» Nach all dem Gesagten hätte man sich gewundert, wenn es anders wäre.
Zu den Seelöwen, Beutelratten, Hirschen, Faultieren gesellen sich in Brehms Thierleben auch noch die Siebenschläfer, die Molche und diverse Affen. Wie hoch muss die Tugend des menschlichen Fleißes im Kurs stehen, wenn sie sich einer solchen Armada der Faulheit erwehren muss? «Ohne Fleiß kein Preis.» Dieses Sprichwort war bereits in jenen Jahren geläufig, als Brehm sein großes Werk schrieb, im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Aber seit wann eigentlich werden die Kreaturen in Faule und Fleißige geschieden? In der Antike war die Arbeit verpönt. Der Dämon Labor ging aus Erebos, dem Gott der Finsternis hervor. Das Wort «Arbeit» leitet sich vom Lateinischen «arvium», Ackerland, ab, und bis ins Mittelalter hinein hat man es mit «Mühsal», «Beschwernis» und «Plage» übersetzt. Wer arbeitete, war nicht frei. Von solchen Dingen hielt sich ein Edelmann tunlichst fern, dafür waren die Bauern und die in den Zünften organisierten Handwerker zuständig. Schenkt man Max Weber Glauben, so ist es dem Protestantismus und seiner Ethik zu verdanken, dass Arbeit vom notwendigen Übel zu einem Wert an sich wurde. «Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn’s hoch kommt, so sind’s achtzig Jahre, und wenn’s köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen; denn es fährt schnell dahin, als flögen wir davon», heißt es im neunzigsten Psalm, von Luther ins Deutsche gebracht. Das ist, Max Weber zufolge, das Ethos, das uns die Reformation eingepflanzt hat: Nur wer arbeitet, zeigt sich gottgefällig. Ein Mönch im Kloster etwa, der sein Leben der Hingabe an Gott widmet, kann kein gottgefälliger Mensch mehr sein.
Die Aufklärer, die Gott den Rücken kehrten, folgten den Reformierten in dieser Auffassung. Ganz gleich, ob Edel- oder Gottesmann, Bürger oder Bauer: Arbeit wird allen zur Pflicht. Und manch einer kann sich gar kein Jenseits mehr ohne Arbeit vorstellen, wie etwa Johann Caspar Lavater: «Selbst im Himmel können wir ohne eine Beschäftigung nicht gesegnet sein.» Du musst dich um die Gesellschaft nützlich machen, lautet das erste Gebot. Den Faulenzern, Müßiggängern und Taugenichtsen leuchtet die Fackel der Aufklärung nicht. Für die Leistungsverweigerer errichtete man Arbeitshäuser.
Das Loblied des Fleißes wird auch in Grimms Märchen tapfer gesungen: Von den beiden Töchtern – schön und fleißig die eine, hässlich und faul die zweite –, die in das, wie man heute sagen würde, Assessment-Center der Frau Holle geschickt werden, kommt die eine als Goldmarie, die zweite als Pechmarie heraus. Der tüchtige Rabe im Märchen Der Faule und der Fleißige erweicht die Jungfrau: Die küsst ihn, und er ersteht als schöner Jüngling wieder auf. Den faulen Raben, den Bruder des Ersteren, will niemand küssen, er stirbt als Rabe.
Der Tugend des Fleißes sah sich auch der rastlos tätige Goethe verpflichtet. «Jeder tut sein Bestes, je nachdem Gott es ihm gegeben», gibt Eckermann es zu Protokoll. «Ich kann sagen, ich habe in Dingen, die die Natur mir zum Tagwerk bestimmt, mir Tag und Nacht keine Ruhe gelassen und mir keine Erholung gegönnt, sondern immer gestrebt und getan, so gut und so viel ich konnte. Wenn jeder von sich dasselbe sagen kann, so wird es um uns alle gut stehen.» An die Existenz von Schlaraffenländern, in denen Milch und Honig fließt, wollte der Geheime Rat in Weimar nicht glauben: «Die Welt ist nicht aus Brei und Mus geschaffen,/Deswegen haltet euch nicht wie Schlaraffen;/Harte Bissen gibt es zu kauen:/Wir müssen erwürgen oder sie verdauen.»
Der Widerspruch ließ nicht
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