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Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)

Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)

Titel: Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Asfa-Wossen Asserate
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mache erschdema ä Värdljahr iewrhaubd nischd mähr!» – «Un dann?» – «Dann? Nu, dann wär ich vielleichd mal ä Häbbchen schaugeln.»
Fröhlich weilen wir beisammen,
Schwebend über Raum und Zeit;
Und der Lebensfreude Flammen
Lodern in Gemütlichkeit!
Mit Sing und Sang, mit Kling und Klang:
Ein Prosit der Gemütlichkeit!
Ein Prosit, ein Prosit
der Gemütlichkeit.
    Wenn ich meine deutschen Freunde in Frankfurt, München, Hamburg oder Berlin frage, was sie mit dem Begriff «gemütlich» verbinden, höre ich die verschiedensten Antworten: ein Glas Wein auf dem Sofa zu den Klängen einer Beethovensonate; ein beschaulicher Sonntagnachmittag bei Kaffee und Kuchen; ein Spaziergang im Sonnenschein an der Alster; eine Skatrunde in der Stammkneipe um die Ecke; ein Hausmusikabend im Kreis der Familie; der Duft von Glühwein und gebrannten Mandeln auf dem Weihnachtsmarkt … Schon beim Gedanken an solche Dinge stellt sich bei vielen ein kindliches Gefühl der Behaglichkeit und der Geborgenheit ein. Mir geht es da gar nicht anders. Höre ich das Wort «Gemütlichkeit», sehe ich eine verräucherte Zirbelstube vor mir, mit Herrgottswinkel und tief hängender Lampe über dem Tisch. Ich lernte sie in meiner Jugendzeit kennen; sie stand aber gar nicht in Deutschland, sondern in einem Ausflugsort namens Gafarsa, unweit von Addis Abeba. Dort servierte die österreichische Gastwirtin Frau Eisener ihre böhmischen Spezialitäten. Das Holz der Zirbelstube kam nicht von der Zirbel, sondern von dem in Äthiopien verbreiteten Wacholder, aber sonst unterschied sie nichts von ihren deutschen Pendants. Und wenn ich heute irgendwo im Schwarzwald oder im Allgäu einkehre, fühle ich mich an die gemütliche Gastwirtschaft der Frau Eisener in Äthiopien erinnert.
    «Trautes Heim, Glück allein.» Die allermeisten finden die Gemütlichkeit in ihren eigenen vier Wänden, aber sie lässt sich nicht einschließen. Bis in die fernsten Winkel des indischen Dschungels hat man sie getragen – in Walt Disneys Zeichentrickfilm Das Dschungelbuch, in dem der Bär Balu die Zeilen anstimmt: «Probier’s mal mit Gemütlichkeit, mit Ruhe und Gemütlichkeit …» – Aber nur in der deutschen Fassung, in der ursprünglichen singt er von anderen, den lebensnotwendigen Dingen («The Bare Necessities»).
    Im Jahre 1882 hatte der Rostocker Korbmacher Wilhelm Bartelmann eine famose Idee, wie man es sich noch an der rausten Küste gemütlich machen konnte. Er erfand den Strandkorb, der in der Folge noch perfektioniert wurde: Auf dem gepolsterten Sitz, mit verstellbarer Rückenlehne, Haken und ausziehbarem Tischchen, geschützt vor Sand, Wind, Sonne und neugierigen Mitmenschen, kann man es sich an Nord- und Ostsee bequem machen. Und das Schönste daran: Man kann dabei Hemd und Krawatte anbehalten und muss nicht in eine Badehose steigen.
    Das Gehäuse des Strandkorbs hat etwas Urtümlich-Höhlenartiges – und ebenso verhält es sich mit einem weiteren Ausweis deutscher Gemütlichkeit: dem Grillen. Ich kann mir keinen lauen Sommerabend mehr vorstellen, an dem es nicht allüberall auf den Balkonen, in den Gärten und auf den Parzellen zischt und brutzelt und Duftschwaden von mit Bier abgelöschten Würsten und Koteletts in den Himmel aufsteigen. So wie es vor zweitausend Jahren bei den Germanen zuging, wenn sie sich vor ihren Höhlen um das heilige Feuer versammelten. Und was für die allermeisten alten Traditionen gilt, sollte auch für diese gelten: Allein schon, weil sie alt ist, ist sie verehrungswürdig.
Seht den König auf dem Throne!
Wohl trägt er ein Purpurkleid;
Was nützt ihm die gold’ne Krone,
Fehlt ihm die Gemütlichkeit?
Mit Sing und Sang, mit Kling und Klang:
Ein Prosit der Gemütlichkeit!
Ein Prosit, ein Prosit
der Gemütlichkeit.
    Aber darf man heute noch ungestraft gemütlich sein? Offenbart nicht ein jeder, der sich vorbehaltlos dazu bekennt, eine geradezu groteske, oberförsterhafte Rückständigkeit? Ist nicht beim gemütlichen, einverständigen Beisammensein am Lagerfeuer per se jeglicher Widerspruch ausgeschlossen? Droht nicht bei aller Gemütlichkeit stets die Gefahr, dass sie urplötzlich in Barbarei und Gewalt umschlägt? Zündete nicht auch der Kommandant von Auschwitz zu Weihnachten die Kerzen am geschmückten Baum an?
    An Kritikern der Gemütlichkeit hat es über die Jahrhunderte nicht gefehlt. «Sie leben sehr lustig und guter Dinge», schreibt Gottfried Keller über Die Leute von Seldwyla , «halten die

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