Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)
dadurch, dass er sich zwanglos bemüht, anderen so wenig Unannehmlichkeiten wie möglich zu bereiten, ohne dabei seine Egozentrizität einzubüßen.»
Das sind Eigenschaften, die keinem Menschen in die Wiege gelegt sind. Wer sie sich auch nur annähernd zu eigen machen will, muss eine lange Schule der Tugend durchlaufen.
Blickt man auf Frankreich, so ist es der Salon der Aufklärung, der stilbildend für die Kultur der Geselligkeit wurde. In den Pariser Salons von Julie de Lespinasse und dem Baron d’Holbach trafen sich die klügsten Köpfe des Landes, d’Alembert, Diderot, Rousseau und Voltaire, und hier entwickelten sie ihre Konzeption des philosophe : des frei von den Schranken der Religion und der Erziehung Denkenden, rechtschaffen und vernünftig und der Gesellschaft zugetan, mit der Fackel der Aufklärung in die Finsternis leuchtend. Berühmtheit erlangte auch der Salon der Juliette Récamier, vor allem aufgrund der Grazie und Schönheit der Gastgeberin. Wenn die widerstreitigen Meinungen allzu hitzig aufeinanderprallten, genügte ein Blick des bezaubernden Wesens, um die Wogen zu glätten. Jacques-Louis David hat sie in seinem berühmten Gemälde, anmutig auf die Récamiere gelagert, verewigt.
Existierten solche bedeutenden geselligen Salons auch im deutschsprachigen Raum? Ja, durchaus. In Wien gab es zur Zeit Mozarts den Salon der Gräfin Maria Wilhelmine von Thun. Nicht nur Mozart, auch der Kaiser kam hier zu Besuch, und nach seiner Weltumseglung mit James Cook kehrte Georg Forster bei der Gräfin Thun ein. Hier durfte sich aber auch ein englischer Gentleman zu Hause fühlen, wie der Bericht eines Besuchers des Vereinigten Königreichs beweist: «Die Gräfin besitzt die Kunst, eine Gesellschaft zu erhalten, und zu machen, dass sie einander selbst unterhalte, besser als irgendjemand, den ich gekannt habe. Bei vielem Witz und einer vollkommenen Kenntnis der Welt be sitzt sie das uneigennützigste Herz. Sie ist die Erste, die die guten Eigenschaften ihrer Freunde entdeckt, und die Letzte, die deren Schwachheiten merkt. Eine ihrer größten Vergnügungen ist, Vorurteile unter ihren Bekannten aus dem Wege zu räumen und Freundschaften zu stiften und zu befördern. Sie hat einen unbesiegbaren Zustrom von heitersten Lebensgeistern, die sie so geschickt zu benützen weiß, dass sie die Fröhlichen ergötzt, ohne den Traurigen zu missfallen. Nie habe ich irgendjemand gekannt, der eine solche Menge Freunde gehabt und auf jeden so viel großmütige Freundschaft zu verschwenden gewusst hätte. Sie hat sich ein kleines System von Glückseligkeiten in ihrem eigenen Hause geschaffen, und ist selbst der anlockende und verbindende Mittelpunkt.»
Man las sich gegenseitig aus Lessings Nathan vor, das hinterließ bei Georg Forster, der von der Welt mehr gesehen hatte als irgendein anderer damals in Deutschland, einen nachhaltigen Eindruck. Er rühmte Marie von Thun in den höchsten Tönen: «Das alles was ich da erfuhr scheint mir ein süßer Traum. Ist es wohl gewiss wahr, dass ich dort unter Menschen gelebt habe; unter jener Gattung von Menschen, von denen Nathan sagt, dass es ihnen genügt, Menschen zu sein! Ist es gewiss, dass ich die glücklichsten Tage meines Lebens schon verfließen sahe, indem ich bei Menschen war, die mich nicht fragten, ob ich weise und gelehrt, sondern ob ich glücklich sei, und wisse, was dazu gehört!»
Auch in Preußen und Berlin hielten die Salons Einzug. Beim Verleger Friedrich Nicolai trafen sich Honoratioren und reisende Gäste, aber es fehlte die Anmut des weiblichen Geschlechts. Wesentlich interessanter ging es da bei Henriette Herz zu, die ihren Salon am Gendarmenmarkt mit preußischem Understatement als «Teetisch» bezeichnete. Auf Rang, Konfession oder Titel kam es hier nicht an. «Eine wunderschöne Frau, voll Anmut und Lieblichkeit, klug gebildet, kenntnisreich, beredt, mild und gütig», so sah es nicht nur Varnhagen von Ense. Wilhelm von Humboldt verliebte sich in sie – im Alter von siebzehn, sie war mehr als zwanzig Jahre älter –, und wenig später auch der junge Ludwig Börne. Und Friedrich Schlegel lernte hier seine spätere Frau Dorothea Mendelssohn kennen, die er in seinem Roman Lucinde besang als diejenige, die mit ihm «durch alle Stufen der Menschheit» ging, «von der ausgelassensten Sinnlichkeit bis zur geistigsten Geistigkeit».
Noch berühmter freilich wurde der Salon von Rahel Levin, der später verheirateten Varnhagen: Diplomaten, Beamte, Künstler und
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