Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)
prächtige Rolex oder eine Piaget, versehen mit dem Porträt des Beschenkten, und bisweilen auch des Schenkers, galt lange Zeit im orientalischen Raum als geradezu ideales Staatsgeschenk. Als im Jahre 1965 der vormalige König Saudi-Arabiens Ibn Saud – sein eigener Bruder Faisal hatte ihn im Jahr zuvor vom Thron gestürzt, nach Ägypten ins Exil geschickt und sich selbst inthronisiert – sich zu einem mehr oder wenigen privaten Besuch in Äthiopien ankündigte, empfing Haile Selassie ihn statt in der Hauptstadt Addis Abeba in Asmara, um möglichen diplomatischen Verwicklungen aus dem Weg zu gehen. Mein Vater war damals Vizekönig von Eritrea und hieß König Ibn Saud in Asmara einige Tage vor dem geplanten Zusammentreffen mit dem Kaiser willkommen. Stolz präsentierte Ibn Saud ihm das prächtige Gastgeschenk, das dieser Haile Selassie zu überreichen gedachte: eine eigens eingeflogene, monströse Standuhr, die auf eine riesige Kommode montiert war. Die Uhr schmückte überlebensgroß das Konterfei des Mohammed Ali, des großen ägyptischen Königs aus dem 15. Jahrhundert. Ein Musterstück der «King Farud Renaissance», wie der Gast mit stolzer Brust hervorhob. Mein Vater, der sein Befremden wohl nur mühsam verbergen konnte, erklärte mit der gebotenen diplomatischen Vorsicht, der Kaiser besäße wohl schon eine Reihe von Standuhren; besser, man fasse ein zweckmäßigeres Geschenk ins Auge.
Es dauerte nur ein paar Minuten, bis König Ibn Saud ein neues, noch prächtigeres Geschenk aufs Tapet gebracht hatte: einen sechstürigen Mercedes Pullman, den er telephonisch in Stuttgart bestellte. Innerhalb von drei Tagen, wies er den schwäbischen Angestellten am anderen Ende der Leitung an, müsse das Gefährt von Deutschland nach Addis Abeba geliefert sein. Der schwäbische Autobauer machte seinem Ruf der Zuverlässigkeit auch dieses Mal alle Ehre: Bereits zwei Tage später stand der in der Sonne blitzende Mercedes Pullman vor dem Palast meines Vaters – ein schlagender Beweis deutscher Pünktlichkeit, der in Äthiopien mit bewunderndem Staunen aufgenommen wurde. Als Haile Selassie dann in Asmara eintraf, präsentierte ihm Ibn Saud stolz sein Gastgeschenk und bat ihn, auf dem Lederrücksitz Platz zu nehmen. Zwischen den Sitzen befand sich eine kleine Bar und darin eine Piaget-Uhr, die Ibn Sauds eigenes Porträt in Weißgold zierte, eingefasst in einen mit Diamanten besetzten Rahmen. Kaum hatte sich der königliche Gast umgedreht, drückte der Kaiser die Uhr meinem Vater in die Hand. Und wiederum einige Tage später lag sie in Addis Abeba auf meinem Tisch. Ich war damals noch Schüler und war über das seltsame Geschenk gar nicht recht erfreut. Doch sollte es sich viele Jahre später als überaus nützlich erweisen, als es mir, zu Geld gemacht, über eine Notzeit hinweghalf.
Noch heute spricht man im englischen Königshaus von der unerhörten Begebenheit, als beim Staatsbesuch von Königin Elisabeth II. in Marokko das europäische und das orientalische Zeitverständnis frontal aufeinanderprallten. König Hassan II., der Vater des heutigen Königs von Marokko, war der einzige Mensch in der Geschichte, der die Königin von England hatte warten lassen, und dies mehrmals – die Beziehungen zwischen den beiden Staatsoberhäuptern erholten sich davon niemals wieder, sie blieben frostig bis zum Tode Hassans II. im Jahre 1999.
Wenn ich an die europäische und deutsche Tugend der Pünktlichkeit denke, kommt mir neben dem Stuttgarter Autobauer und der Schwarzwälder Kuckucksuhr vor allem Preußen in den Sinn, Inbegriff deutscher Pünktlichkeit und Disziplin. Musterhaft penibel eingerichtet war der Tagesablauf des großen Philosophen Immanuel Kant in Königsberg. Die Bewohner der Straße konnten ihre Uhr danach stellen, wenn Kant Nachmittag für Nachmittag pünktlich um 16 Uhr das Haus verließ, um sich zu seinem vertrautesten Freund, dem englischen Kaufmann Joseph Green, auf den Weg zu machen – und ebenso, wenn die Gesellschaft im Hause des Kaufmanns Punkt 17 Uhr auseinanderging und Kant seinen Heimweg antrat.
Mein akademischer Lehrer in Tübingen, Professor Eschenburg, erzählte uns im Seminar von seiner Audienz bei Reichspräsident Hindenburg in den ausgehenden zwanziger Jahren: Im Präsidentenpalais hatten alle Uhren um fünf Minuten nachzugehen, weil der Reichspräsident nichts mehr hasste als unpünktliche Gäste. Uns Studenten schien dies wie ein Bericht aus einem fernen Märchenreich. Vor den Türen der
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