Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)
höchstpersönlich eingewiesen, was nass zu wischen sei und wie oft, welche Lappen und Schrubber am geeignetsten seien und welche Reinigungsmittel den Boden so richtig zum Glänzen brächten. Mit besonderer Hingabe habe sie ihm dabei das gründliche Schrubben der Mülleimer demonstriert – zuerst außen, dann innen –, die danach blitzten, als wären sie eben erst angeschafft worden. Ein «Reigschmeckter» wie ich es sei, werde die ganze Bedeutung dieses schwäbischen, oder korrekter: württembergischen Rituals gar nicht erfassen können, beschloss der Kommilitone seine Ausführungen. Ein Satz wie «S’ Träppahaus isch fei so saubr, do kenntsch vom Boda ässa» – das sei nun einmal eines der höchsten Komplimente, die eine schwäbische Hausfrau zu vergeben habe.
Von da an sah ich den Drang zur Sauberkeit, den ich in Tübingen und anderswo sich austoben sah, mit anderen Augen, und ein wenig bedauerte ich sogar, dass es bei uns im Verbindungshaus keine Kehrwoche gab. Dort sorgte stattdessen Frau Bauer, eine Schwäbin mit Leib und Seele, für Ordnung und Sauberkeit. Manchmal beobachtete ich sie aus der Ferne, wie sie im Garten die über die Stange gehängten Läufer mit einem Teppichklopfer bearbeitete und voller Inbrunst den Staub aus ihnen herausprügelte. Und im Nachmittagsprogramm des Fernsehens sah ich die zahlreichen Damen und Herren, die die besondere Reinigungskraft ihres jeweiligen Waschmittels anpriesen – allen voran Klementine mit ihrem rot-weiß karierten Hemd, Latzhose und Schirmmütze: «Ariel wäscht nicht nur sauber, sondern rein.» – «Der Weiße Riese: Seine Waschkraft macht ihn so ergiebig.» – «Persil, da weiß man, was man hat.» Das sind die Werbesprüche, die wohl nicht nur mir in Erinnerung geblieben sind. Sie konnten allerdings nicht mit dem Spruch aus der deutschen Werbung der dreißiger Jahre konkurrieren, den ich zum ersten Mal auf der deutschen Schule in meiner äthiopischen Heimat gehört hatte: «Fahr mit mir nach Addis Abeba, dort wäscht auch der Negussa seine Wäsche mit Fewa.»
Die württembergische Kehrwoche hat, wie ich später erfuhr, eine lange Tradition. Schon im Stuttgarter Stadtrecht aus dem Jahre 1492 wird sie erwähnt: «Damit die Stadt rein erhalten wird, soll jeder seinen Mist alle Wochen hinausführen», heißt es da, «jeder seinen Winkel alle vierzehn Tage, doch nur bei Nacht, sauber ausräumen lassen und an der Straße nie einen anlegen. Wer kein eigenes Sprechhaus (vulgo: Klohäuschen) hat, muss den Unrat jede Nacht an den Bach tragen.» Ist also die deutsche Reinlichkeit eine Tugend von alters her?
Wie so oft lohnt sich auch in dieser Frage ein Blick auf die Urteile derer, die von außen kommen – und die waren, was die Sauberkeit in deutschen Landen betrifft, über die Zeiten hinweg durchaus unterschiedlicher Ansicht. Erasmus von Rotterdam beispielsweise, der im 16. Jahrhundert viel in Deutschland unterwegs war, beklagte sich über die deutschen Gasthäuser und ihre Gaststuben: «Diese geheizte Stube ist allen gemeinsam. Dass man eigene Zimmer zum Umkleiden, Waschen, Wärmen und Ausruhen anweist, kommt hier nicht vor … So kommen in demselben Raum oft achtzig oder neunzig Gäste zusammen, Fußreisende, Reiter, Kaufleute, Schiffer, Fuhrleute, Bauern, Knaben, Weiber, Gesunde, Kranke. Hier kämmt sich der eine das Haupthaar, dort wischt sich ein anderer den Schweiß ab, wieder ein anderer reinigt sich Schuhe und Reitstiefel … Es bildet einen Hauptpunkt guter Bewirtung, dass alle vom Schweiße triefen. Öffnet einer, ungewohnt solchen Qualms, nur eine Fensterritze, so schreit man: Zugemacht!» In den Gästezimmern bot sich ihm ein entsprechendes Bild: «Die Leintücher sind vielleicht vor sechs Monaten zuletzt gewaschen worden.»
Montaigne hingegen, der ein paar Jahrzehnte nach Erasmus durch Deutschland reiste, zeigte sich doppelt beeindruckt von der Gastlich- und Sauberkeit der Deutschen. In Kempten hebt er die «blitzsauberen» Teller hervor und dass «auf die Sessel, ehe man sich niederlässt», eigens Kissen gelegt werden; und in Augsburg bemerkt er, dass man «hier einen ungewöhnlichen Wert auf Reinlichkeit legt, denn wir konnten die Stufen der Wendeltreppe zu unsren Zimmern nur über die Stoffmatten beschreiten, mit denen sie abgedeckt waren, damit sie nicht beschmutzt würden – hatte man sie doch eben erst (wie alle Samstage) gewaschen und blankgescheuert! Auch haben wir in den Gasthäusern niemals Spinnweben oder irgendwelchen Schmutz be
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