Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)
schließlich auch in den Schlachten bei Ligny und Namur gegen das napoleonische Heer der «100 Tage». Nachdem die deutschen Lande befreit und der Friede wieder eingekehrt war, diente er dann zehn Jahre lang, von 1817 bis 1827, als Generalmajor. Den militärischen und politischen Reformen Scharnhorsts und Hardenbergs stand er ablehnend gegenüber – sein Ideal war und blieb die alte preußische Armee unter der Führung des Adels, wie sie zu Zeiten Friedrichs des Großen bestand. In ihr sah Marwitz die preußischen Tugenden in höchster Vollkommenheit verkörpert:
«In der Tat hat es niemals eine Institution gegeben, in welcher das Rittertum ähnlicher wieder aufgelebt wäre, als in dem Offizierstande Friedrichs II. Dieselbe Entsagung jedes persönlichen Vorteils, jedes Gewinnstes, jeder Bequemlichkeit, – ja, jeder Begehrlichkeit, wenn ihm nur die Ehre blieb; dagegen jede Aufopferung für diese, für seinen König, für sein Vaterland, für seine Kameraden, für die Ehre der preußischen Waffen. Im Herzen Pflichtgefühl und Treue, für den eigenen Leib keine Sorge.»
Im Herzen Pflichtgefühl und Treue, für den eigenen Leib keine Sorge: Selbstlos, die persönlichen Interessen hintanstellend, ohne Ansicht der Person, nur dem Gemeinwohl verpflichtet – so gab es das preußische Pflichtethos vor, ob als Soldat auf dem Felde oder als Diener des Staates. Und wie der Soldat seinen Fahneneid leistete, wurde dem Beamten der Treueeid abverlangt und die damit verbundene Pflicht zum Gehorsam. Den Befehlen des Vorgesetzten galt es zu folgen, ein Recht darauf, den Gehorsam zu verweigern, gab es nicht. Was aber, wenn die Befehle den eigenen Grundsätzen zuwiderlaufen, wenn man sie für unmoralisch oder gar verbrecherisch hält?
«Ich habe doch nur meine Pflicht getan!» Diesen Satz hörte man in Deutschland nach 1945 immer wieder. Hatte man nicht einen Eid auf «den Führer» geschworen, ihm Treue und Gehorsam gelobt? Damit wollte sich auch Adolf Eichmann rechtfertigen, als man den maßgeblichen Organisator des Holocausts vor Gericht stellte. Man könne doch niemanden juristisch belangen, der die Gesetze befolgt. «Führer befiel – wir folgen»: Er hätte auch «seinen eigenen Vater in den Tod geschickt», gab Eichmann zu Protokoll, «wenn das verlangt worden wäre».
Man kann aber sehr wohl dafür belangt werden, wenn man sich einem Unrechtsregime in den Dienst stellt und verbrecherische Gesetze exekutiert. Angesichts der Verbrechen des Nationalsozialismus hat der Straftatbestand der «Verbrechen gegen die Menschlichkeit» in das internationale Strafrecht Eingang gefunden. Und seit 2002 gibt es den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, der solche Verbrechen ahndet und zur Anklage bringt.
Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht. Das wussten aber auch schon im 18. und 19. Jahrhundert die tapferen preußischen Generäle von der Marwitz. Johann Friedrich Adolf von der Marwitz, der Onkel Friedrich August Ludwigs, hatte unter Friedrich II. als Kommandant des Kürassierregiments Gensdarmes gedient. Bei zahlreichen Schlachten des Siebenjährigen Krieg hatte er sich hervorgetan. Als die preußischen Truppen das Jagdschloss der Kurfürsten von Sachsen Hubertusburg in der Nähe von Leipzig eroberten, machte König Friedrich II. es Oberst Marwitz zum Geschenk – verbunden mit dem Auftrag, es zu plündern. Der preußische König wollte Rache nehmen für die Plünderung des Schlosses Charlottenburg durch Russen, Österreicher und Sachsen. Doch Marwitz machte überhaupt keine Anstalten dazu. Als Friedrich der Große ihn zur Rede stellte, warum er sich seinem Auftrag widersetze, erklärte er: «weil sich dies würde allenfalls für den Offizier eines Freibattalion schicken, nicht aber für den Kommandeur Seiner Majestät Gensdarmes.» Entrüstet stand der König auf und verließ die Tafel. Zum Plündern fand sich ein anderer bereit, Oberst Quintus Icilius. Aber den Kommandeur des Gendarmen-Regiments ließ Friedrich II. seine Missbilligung spüren. Zweimal ersuchte Marwitz um seinen Abschied aus der Armee, beide Male vergeblich. Erst beim dritten Mal willigte der König ein.
Als Johann Friedrich Adolf von der Marwitz, der Hubertusburg-Marwitz, im Jahr 1781 in Berlin starb, ließ sein Neffe Friedrich August Ludwig – ebenjener, der das Loblied auf die Tugenden der friderizianischen Armee sang – auf seinem Grabstein die Zeilen anbringen: «Sah Friedrichs Heldenzeit und kämpfte mit ihm in all seinen
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