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Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)

Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)

Titel: Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Asfa-Wossen Asserate
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gelöst werden können oder dadurch vielleicht erst recht angeheizt werden, hat sich längst die beunruhigende Erkenntnis durchgesetzt: Die Gesellschaften der westlichen Industriestaaten haben ja bereits seit Jahrzehnten über ihre Verhältnisse gelebt. Auch die schwäbische Hausfrau, die noch nie in ihrem Leben auf die Idee kam, ihr Konto zu überziehen, steht mit stattlichen 25.000 Euro in der Kreide – so hoch belief sich Ende 2011 die Pro-Kopf-Verschuldung in der Bundesrepublik Deutschland.
    Und während in der Bundesrepublik Deutschland die Kurve der Schulden der öffentlichen Haushalte, zuerst langsam und dann immer steiler, nach oben ging, fehlte es doch nie an Appellen zur Sparsamkeit. Besonders das Schwäbische hält, wie zu erwarten, eine Vielzahl von Ratschlägen bereit: «Em Sonderangebot kaufa, abbr gugga, obs ned no woandersch billiger isch.» – «Sich d’ald Zeidong vom Nochbr gäba lassa.» – «Ned soviel Zahpaschda druff do, d’Tub sauber gladdschdreicha on zammarolla.» – «S’Temboole nomml braucha.» – «Nix isch so hee, als dass mers nedd midd Uhuu wiedr zammagläba kennd.»
    Die Schwaben sind aber nicht die einzigen, denen man in Deutschland besondere Sparsamkeit nachsagt, auch die Sachsen dürfen sich dieser Tugend rühmen. Eine ganze Reihe von Witzen zollt diesem Umstand Rechnung. Ein Beispiel mag hier genügen: «Ein Sachse trifft den anderen auf der Zugspitze. ‹Nu, Garle, wo gomms denn du her?› – ‹Ich bin uff der Hochzeitsreese.› – ‹Nu, wo haste denn deine Frau?› – «Das ist es ja ähm bei uns Volksschullehrern: For zweee langts allemal nich.» Für die spezifische Mischung aus Fleiß, Intelligenz und Sparsamkeit hat man im Sächsischen das Wort «Fischilanz». Die Bayern dagegen waren bislang nicht für übermäßige Sparsamkeit bekannt, bis Kardinal Ratzinger als Papst Benedikt sein Amt antrat. Zur großen Enttäuschung der Bischöfe und Kardinäle im Vatikan hob er die beliebten Tafelrunden seinen Vorgängers Johannes Paul II. auf, und es gibt weder einen Küchen-, noch einen Kellermeister in seinen Diensten. Für Papst Benedikt, heißt es im Vatikan, diene die Zunge zum Sprechen, nicht zum Schmecken.
    Auch und gerade beim Sparsamsein gilt es findig zu sein – und so hat sich im Laufe der Zeit die Tugend von einst ein neues Gesicht aufgesetzt. Mit einem Mal galten Sparschwein und Sparbuch als hoffnungslos altmodisch. Und auch die unscheinbare Sparkassenfiliale im hintersten Winkel lockte nun mit dubiosen Geldanlagen, die ein Vielfaches an Zinsen versprachen. Eine Elektronikkette begann mit der Schlagzeile «Geiz ist geil!» zu werben und sprach damit all jene an, denen der Preis als das ausschlaggebende Argument zum Kauf einer Ware galt. Qualität, Langlebigkeit, Garantiezeiten und Beratung – all das erschien demgegenüber nachrangig. Aus der Tugend der Sparsamkeit war eine sportliche Betätigung geworden.
    Das Jagen nach Schnäppchen und Angeboten, das Feilschen um Rabatte wird auch von jenen gern praktiziert, die auf solches gar nicht angewiesen scheinen. In Berlin beispielsweise erfreute sich vor ein paar Jahren ein ungewöhnlicher Reiseführer großer Beliebtheit: Berlin für Arme. Ein Stadtführer für Lebenskünstler . «Die Natur deckt uns den Tisch», «So macht Einkaufen Spaß», «Kochen oder Kochen lassen», lauteten die Überschriften der Kapitel, und man bekam darin allerlei Tipps: auf welchen Wiesen und Parks der Hauptstadt welche Wildkräuter und Pilze wachsen; zu welchen Büffets und Empfängen man sich Zutritt verschaffen kann, ohne eingeladen zu sein; in welchen Bezirken es Suppenküchen gibt und wo und wie man, ohne zu bezahlen, in die Oper, ins Theater oder Kino kommt. Es machten sich aber dann keineswegs nur Hartz-IV-Empfänger mit dem Buch auf den Weg, ihre Stadt zu erkunden, sondern auch solche, die zum Bärlauch-Pflücken im Park mit dem Mercedes vorfuhren.
    Beim Betrachten der Sparsamkeit sollte nicht vergessen werden, dass das bloße Zusammenhalten des Ersparten, der Abschluss eines Bausparvertrags, die Einrichtung eines Bankkontos, der Bau eines Geldspeichers noch lange keine christliche Tugend darstellt, eher im Gegenteil. Man denke nur an das biblische Gleichnis von den anvertrauten Talenten: Die Diener, die das von ihrem Herrn zur Verfügung gestellte Geld einsetzen, werden belohnt; jener Diener, der sein Geld, aus Angst, es zu verlieren, im Boden vergräbt, wird als faul und nichtsnutzig gescholten und von seinem Herrn

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