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Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)

Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)

Titel: Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Asfa-Wossen Asserate
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vermachte der regierende Fürst des Hauses ihn dem geliebtesten seiner Söhne, der damit zum Erben des Fürstentums aufrückte. Bis der Fall eintrat, dass sich ein König nicht zwischen seinen drei gleichermaßen geliebten Söhnen entscheiden konnte. Also ließ jener Fürst nach dem Muster des echten Ringes zwei Duplikate herstellen und übergab allen dreien seiner Nachkommen einen davon. Ein jeder der Söhne wähnte sich im Besitz des echten Ringes, und nach dem Tod des Vaters wurde die Sache zur Klärung vor Gericht gebracht. Der kluge Richter wollte sich keine Entscheidung anmaßen und verwies auf die Wunderkraft des Ringes. Im Handeln müsse sich zeigen, welcher der drei Ringe der wahre sei: «Es strebe von euch jeder um die Wette,/die Kraft des Steins in seinem Ring an Tag/Zu legen! komme dieser Kraft mit Sanftmut,/Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun,/Mit innigster Ergebenheit in Gott/Zu Hülf’!»
    Die «Ringparabel» ist der Dreh- und Angelpunkt in Lessings letztem Theaterstück, in dem der Aufklärer, Dichter und herzögliche Bibliothekar in Wolfenbüttel zwei Jahre vor seinem Tod seine Ansichten über das Verhältnis von Religion und Vernunft darlegte. Der für seine Weisheit bekannte jüdische Kaufmann Nathan antwortet mit diesem Gleichnis auf die Frage des Sultans Saladin, welche der drei «Buchreligionen» – Judentum, Christentum und Islam – er für die «wahre» halte.
    Der Sultan im Stück verstand den Sinn jener Parabel auf der Stelle – ebenso wie jeder zeitgenössische Leser: In der Praxis also, im Wettstreit um Menschlichkeit und Toleranz müsse sich erweisen, welche Religion es verdient, die wahre genannt zu werden. Dies aber war zu jener Zeit alles andere als eine selbstverständliche Ansicht, ganz im Gegenteil: Man verstand sie als einen Angriff auf die herrschende Lehre des Christentums. Lessing selbst war just zuvor bei seinem Herzog, Karl von Braunschweig, in Ungnade gefallen ob seiner aufklärerischen Ansichten in Religionsdingen. Seine Schriften und seine Herausgebertätigkeit, so der Herzog, hätten nichts Geringeres zur Absicht, «als die christliche Religion aufs Schlüpfrigste zu setzen, wo nicht völlig einzureißen», und per Kabinettsorder war dem Dichter ein Publikationsverbot auf dem Gebiet der Religion erteilt worden. Doch wollte sich Lessing den Mund nicht verbieten lassen, und so wechselte er den Schauplatz und erhob das Theater zur Kanzel, um seine Meinung kundzutun.
    Auf der Bühne erlebte Lessing seinen Nathan nicht mehr; erst 1783 wurde er uraufgeführt – und zwar in Berlin. Dort regierte damals Friedrich der Große, der sich kaum für die deutschen Dichter seiner Zeit interessierte, aber doch gewillt war, als Verfechter der Toleranz in die Geschichtsbücher einzugehen. Bereits am dritten Tag seiner Regierung hatte er die Folter zur Geständniserzwingung abgeschafft und die Todesstrafe eingeschränkt. In Rechtsdingen sollte in Preußen fortan der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Vergehen und Strafe gelten. Der preußische Monarch führte die tolerante Haltung seiner Vorgänger gegenüber den religiösen Minderheiten in seinem Land, namentlich den Hugenotten und den Katholiken, fort. Als Manifest seiner religiösen Toleranz ließ er im Zentrum Berlins die katholische Hedwigskiche errichten. Nachdem die Jesuiten vom Heiligen Stuhl verboten worden waren, nahm er sie in Preußen auf; und auch die Türken hieß er in seinem Reich willkommen und wollte ihnen eigene Moscheen errichten.
    «Die Religionen müsen alle Tolleriret werden und Mus der Fiscal nuhr das Auge darauf haben, das keine der andern abrug Tuhe, den hier mus ein jeder nach seiner Fasson selich werden.» So schrieb es der preußische König an den Rand einer Eingabe, welche die Wiederabschaffung der römischkatholischen Schulen zum Ziel hatte. Gleichwohl: Mit der Toleranz gegenüber den Juden war es auch in Preußen nicht sehr weit her, dort herrschten Schikane und Behördenwillkür. Als der Antrag gestellt wurde, Moses Mendelssohn – der Lessing für seinen Nathan als Vorbild diente – in die Akademie der Wissenschaften aufzunehmen, zog sich der König aus der Affäre, indem er ihn einfach unbeantwortet ließ. In seine Akademie wollte er keine Juden aufgenommen sehen. Aber noch mehr fürchtete er, durch eine offene Ablehnung seinen Ruf als eines toleranten Königs aufs Spiel setzen.
    Ende des 18. Jahrhunderts galt Lessing mit seinem aufklärerischen Gedanken von der Gleichberechtigung der

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