Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)
verstoßen. Wer von seinem Schöpfer mit Gaben und Talenten ausgestattet wird, der hat die Pflicht, diese zu nutzen, auch wenn damit das Risiko verbunden ist, sie zu verlieren.
Man soll mit seinem Geld haushalten und sorgsam umgehen, aber Sparen als Selbstzweck ist keine Tugend. Man sollte schon wissen, wofür man spart – und vor allem sollte man über das Sparen nicht das Gebot der Nächstenliebe aus den Augen verlieren. Was sich nach außen hin als Sparsamkeit gibt, ist oftmals nichts anderes als Geiz und Habgier. Man mag den Spruch «Geiz ist geil!» noch so abstoßend finden, aber eines kann man seinen Erfindern nicht vorwerfen: dass sie sich zu dem Laster, das er propagiert, nicht offen bekennen würden.
Wie schmal der Grat zwischen Sparsamkeit und Gier ist und wie schnell einem übertriebene Sparsamkeit im beruflichen ebenso wie im familiären Leben zum Verhängnis werden kann – Loriot hat es auf seine unübertreffliche Weise in seinem Spielfilm Pappa ante portas demonstriert. Er spielt darin selbst die Rolle des Heinrich Lohse. Der verliert nach siebzehn Jahren seine Stellung als Leiter der Einkaufsabteilung der Deutsche Röhren AG, nachdem er für seine Firma eine größere Charge Schreibmaschinenpapier eingekauft hat, immerhin mit einer Einsparung von fünfzig Prozent. Die Menge des Papiers reicht allerdings für die nächsten vierzig Jahre. Als sparsamen Privatier ergeht es Herrn Lohse anschließend kaum besser: Beim Einkauf im Tante-Emma-Laden beginnt er sogleich um den Preis eines Glases Senf zu feilschen, ein kleiner Mengenrabatt müsste doch auch hier zu holen sein. Wenig später wird ihm – sehr zur Bestürzung seiner Gattin Renate alias Evelyn Hamann – der Senf palettenweise ins Haus geliefert.
Auch wenn bei der Sparsamkeit deren Geschwister, der Geiz und die Habgier, stets um der Ecke lauern; auch wenn die Banken und Regierungen mit immer schwindelerregenderen Summen hantieren, die kein menschliches Gehirn mehr zu fassen vermag; auch wenn die Kinder heute, statt am Weltspartag ihr Sparschwein auf die Bank zu tragen, sich mit ausgehöhltem Kürbis auf dem Kopf und in Gespensterverkleidung zur Halloween-Feier begeben: Man kann und sollte sein Sparschwein in Ehren halten – schließlich ist das Schwein von jeher als ein Glücksbringer bekannt. Wer viele Schweine besaß, dem fehlte es nicht an Wohlstand und Reichtum. Die alten Germanen sahen im Eber gar ein heiliges Tier.
Kein Wunder also, dass man hierzulande die Erfindung des Sparschweins stolz für sich reklamiert. Um den rechtmäßigen Titel des Erfinders konkurrieren zwei Gemeinden: Billeben in Thüringen und Euskirchen im Rheinland. In Billeben wurde das älteste deutsche Sparschwein gefunden, es wird auf das 13. Jahrhundert datiert. Allerdings sei man in Billeben, hört man aus Euskirchen, den Beweis dafür schuldig geblieben, dass darin wirklich Münzen gesammelt wurden. Auf der Burg Schweinheim in Euskirchen wiederum stieß man auf einen Koffer, der neben den Scherben eines Sparschweins allerlei mittelalterliche Münzen enthielt. Die Scherben und Münzen werden dem Ritter Spies von Büllesheim zugeschrieben, der, so schloss man in Euskirchen, auf seiner Burg um das Jahr 1576 das Sparschwein erfunden haben muss. Dort hat sich inzwischen auch die «Schutzgemeinschaft Deutsches Sparschwein» formiert, die sich für den Erhalt des Sparschweins einsetzt. Unter anderem mit einer Petition für die Erweiterung des Grundgesetzes um einen Artikel zum Sparschweinschutz: «Das deutsche Sparschwein ist als solches ein Kulturgut typisch deutschen Wesens und steht unter dem besonderen Schutz des Staates. Es darf weder verfälscht noch in seiner Existenz bedroht werden durch Spartiere wie Bären, Elefanten und dergleichen.»
Im Klostergarten von Euskirchen steht seit dem Jahr 2007 auch das erste Sparschweindenkmal Deutschlands: ein eineinhalb Tonnen schweres gusseisernes Tier mit Rückenschlitz, aus dem eine riesige Münzenoblate hervorragt. Stolz reckt das Schwein dem Besucher die Schnauze entgegen. Wenn man an ihr reibt, heißt es, ist das Glück einem hold.
Toleranz
E ines der berühmtesten Gleichnisse in deutscher Sprache über die Toleranz erzählt von einem König im Osten, der einen wunderbaren Opalring besaß, der «hundert schöne Farben spielte». Und obendrein besaß jener Ring die «geheime Kraft», «vor Gott/Und Menschen angenehm zu machen» – sofern der Besitzer ihn «in dieser Zuversicht» trug. Von Generation zu Generation
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