Deutschland 2.0
vieleTürken arbeiten nur als angelernte Arbeiter. Dagegen haben die meisten Polen und Griechen in Deutschland einen qualifizierten
Berufsabschluss.
Die Studie lässt auch deutliche kulturelle Unterschiede erkennen. Bei den türkischen Einwanderern ist der Anteil an Hausfrauen
am höchsten. Siebzig Prozent von ihnen haben keinen Beruf gelernt. Sie heiraten mit durchschnittlich 23 Jahren für deutsche Verhältnisse besonders früh (der Vergleichswert deutscher Frauen liegt bei 33) und bekommen durchschnittlich
mindestens zwei Kinder – was angesichts der Geburtenrückgänge in Deutschland natürlich zu begrüßen ist. Allerdings, auch das
macht die Studie deutlich, ist leider überhaupt nicht sichergestellt, dass diese Kinder in Deutschland einen erfolgversprechenden
Weg vor sich und eine Aussicht auf Chancengleichheit haben. Und das ist, um es gleich vorwegzunehmen, nicht nur und auch nicht
in erster Linie die Schuld der Mehrheitsgesellschaft.
Die Neigung, sich abzuschotten, ist in der türkischen Community besonders ausgeprägt. Während Italiener und Jugoslawen bevorzugt
in Wohngegenden ziehen, in denen überwiegend Deutsche leben, bleiben Türken oft unter sich. Allerdings machen es deutsche
Vermieter türkischen Aspiranten in dieser Hinsicht auch oft ziemlich schwer. Einer türkischstämmigen Freundin beispielsweise,
die kürzlich im bürgerlichen Berliner Bezirk Wilmersdorf eine Zweizimmerwohnung mieten wollte, wurde schon bei der telefonischen
Anfrage bedeutet, dass sie »mit diesem Namen« keine Chance auf der Bewerberliste hätte. Sie hatte zwar einen deutschen Pass
und einen Hochschulabschluss. Aber nach solchen Erfahrungen fühlt sie sich regelmäßig wieder ausgebürgert. Aufgegeben hat
sie trotzdem nicht. Heute lebt sie in den USA, dort hatte niemand ein Problem mit ihrem Namen.
Dennoch können auch solche hässlichen, bisweilen offen rassistischen Begegnungen mit der deutschen Spießerwelt kein Grund
sein, sich um Integration gar nicht erst zu bemühen. Einwandererhaben es immer schwerer als Einheimische, das ist nichts Neues. Und das gilt nicht nur für Türken – auch die Italiener, die
in den sechziger und siebziger Jahren nach Deutschland kamen, wurden zum Teil übel als »Spaghettifresser« beschimpft. Heute
geben Deutsche gerne damit an, dass sie zu Giovanni vom Restaurant um die Ecke einen ganz besonders guten persönlichen Draht
haben und er ihnen die Flasche Brunello immer ein bisschen billiger kredenzt als den anderen Gästen. So ändern sich Zeiten
und Sitten. Sie ändern sich aber nicht automatisch – man muss etwas dafür tun. Noch vor ihrem Amtsantritt forderte die neue
niedersächsische Sozialministerin Aygül Özkan die türkischen Einwanderer auf: »Zeigt mehr Interesse an Deutschland! Bringt
euch mehr ein!«
Das ist auch dringend nötig. Die Studie des Bundesamts für Migration zeigt, wo unter anderem die Probleme liegen: Türken gucken
in Deutschland überwiegend türkisches Fernsehen, lesen türkische Zeitungen, treffen sich in türkischen Cafés. Die Forscher
sehen hier einen klaren Zusammenhang zu den mangelhaften Deutschkenntnissen, die jeder fünfte Türke in der Bundesrepublik
vorweist – aber nur jeder siebzehnte Italiener oder jeder zehnte Pole. »Der Anteil derer mit keinem oder nur niedrigem Bildungsabschluss
ist nach wie vor viel zu hoch«, meint auch der türkischstämmige Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir. Aber wie sorgt man für bessere
Bildungsabschlüsse?
Der jüngste Disput zwischen dem türkischen Premierminister Recep Tayyip Erdogan und der deutschen Kanzlerin Angela Merkel
zeigt, wo bald entscheidende Konfliktlinien verlaufen werden. Erdogan hatte am Rande von Merkels Staatsbesuch in der Türkei
im April 2010 die Einrichtung türkischer Gymnasien in Deutschland gefordert. Merkel lehnte den Vorschlag entschieden ab. Einwanderer
in Deutschland müssen in erster Linie Deutsch beherrschen. Denn es geht um die Integration der Einwanderer, nicht um den Ausbau
von Parallelsystemen.
Erdogan mag innenpolitisch auf Reformkurs sein, wenn es um die im Ausland lebenden Türken geht, kennt er kein Pardon. »Assimilierung
ist ein Verbrechen«, warnte der türkische Staatschef bei einem Auftritt in der Kölnarena vor zwei Jahren »seine« Landsleute
– ob die türkischsprachigen Zuhörer einen deutschen Pass besaßen, war ihm herzlich egal. Der Streit zwischen Merkel und Erdogan
war deshalb
Weitere Kostenlose Bücher