Deutschland allein zu Haus
große Schild an der stämmigen weißen Säule: ›Gleise betreten verboten!‹
»Ja, doch, schon, sofern sie nicht total besoffen sind«, meint er etwas unsicher, wobei sein putziges Bärtchen leicht zuckt. Das reicht für Nermin als Sicherheit, um einen verbalen Gegenangriff in Richtung Gleis 6 zu starten:
»Kanake ist deine Mutter, du blöde Fascho-Sau! F… dich ins Knie!«, empfiehlt sie denen, nachdem die wieder ihren Spruch ›Kanaken plattmachen‹ losgelassen hatten.
Sofort springen 2 Skins auf die Gleise, um Nermin das Maul zu stopfen und bei der Gelegenheit uns natürlich auch.
»Osman, warum wollen die Skins jetzt rüber zu uns kommen?«, fragt mein Onkel wieder.
»Die freuen sich, weil Nermin alle ihre Mütter kennt.«
In dem Moment fährt ein ICE mit großer Geschwindigkeit in den Bahnhof ein. Ich befürchte, die beiden ›Fascho-Säue‹ werden ab sofort keine funktionierenden Knie mehr haben, um Nermins warme Empfehlung irgendwann erfolgreich in die Tat umsetzen zu können.
Vorsichtshalber machen wir uns trotzdem sofort auf dieSocken, weil die Knie der beiden und die übrigen Utensilien, die für ein richtig gelungenes Fascho-Dasein noch dazugehören, von deren Kollegen in letzter Sekunde doch noch gerettet worden sind.
»Nermin, das nächste Mal musst du aber bei diesen Idioten deine Schnauze halten«, weist Eminanim ihre Tochter mit hochrotem Kopf zurecht. »Wir können nicht überall mit einem heranrauschenden ICE rechnen, der unser Leben rettet!«
»Haben wir uns etwa bei diesem eisigen Wind eine halbe Ewigkeit den Arsch umsonst abgefroren?«, meckere ich auch ziemlich aufgebracht, weil ich jetzt überhaupt keine Ahnung habe, wie wir, ohne dass Onkel Ömer was merkt, meine Frau und die Kinder bei Oma Fischkopf unterbringen sollen.
»Osman, bei der Gelegenheit hast du doch jetzt wenigstens gelernt, wie lang eine ›halbe Ewigkeit‹ ist!«, grinst meine Frau ziemlich blass im Gesicht.
Beim Verlassen des Bahnhofs sehen wir zu Tode erschrocken, wie recht meine Frau doch eben hatte!
Den 3 Obdachlosen direkt vor dem Bahnhof war kein ICE-Zug in letzter Sekunde zu Hilfe geeilt, auch nicht eine Straßenbahn. Nicht mal ein Fahrrad oder eine Schubkarre! Von Polizei ganz zu schweigen.
Grässlich entstellt liegen sie nun regungslos in ihrer eigenen Blutlache.
46 Schlimmer und deutlicher als die 3 brutal totgeschlagenen Obdachlosen kann kein Warnhinweis sein, die Nacht auf keinen Fall im Freien zu verbringen!
In diesem Moment sehe ich einen wild gewordenen Fahrradfahrer mit doppelter Schallgeschwindigkeit von hinten auf uns zu brausen.
»Eminanim, mach das nicht! Lass den armen Mann noch etwas leben«, rufe ich tief besorgt und sehe schon in der nächsten Sekunde den Unglücksraben ein paar Meter vor uns wie eine gefällte Eiche auf den Boden klatschen.
»Das kann doch nicht wahr sein! Siehst du, was du schon wieder angerichtet hast, der hat sich sicherlich alle Knochen gebrochen«, schimpfe ich fassungslos.
»Es tut mir leid! Das wollte ich nicht! Du weißt doch, das ist halt so ein Reflex von mir, ich kann nicht anders!«, entschuldigt sich Eminanim mit zittriger Stimme.
»Toll! Die Frau kann nicht anders und außer uns ist kein Mensch da, um ihm zu helfen! Diesmal können wir nicht einfach abhauen! Dort vorne ist eine Kneipe, geh rüber und ruf einen Krankenwagen«, schlage ich vor. »Wie es aussieht, hast du ihm beide Beine gebrochen.«
Eminanim spurtet Richtung Kneipe und wir laufen zu dem Mann, bei dem man nicht mehr so genau weiß, wo vorne und wo hinten ist.
»Was ist denn heute los?«, kratzt sich Onkel Ömer ungläubig am Kopf. »Es regnet heute lauter verletzte Menschen vom Himmel.«
»Ja, was für ’n beschissenes Wetter«, bestätige ich.
Gleich darauf kommt Eminanim völlig außer Atem wieder zurück.
»Osman, die Männer in der Kneipe sind bei meinem Anblick regelrecht zu Salzsäulen erstarrt!«
»Was soll ich denn machen? Ich muss dich seit 30 Jahren mehrmals am Tag anschauen!«
»Außerdem glauben sie mir nicht, dass ich eine Türkin bin.Die sind wie paralysiert und verharren im Schockzustand. Der Wirt stotterte eben mit schneeweißem Gesicht, dass er schon seit 30 Jahren in dieser Kneipe arbeite und um diese Zeit nachts noch nie eine lebende Türkin mit Kopftuch in seinem Laden gesehen hätte. Daraufhin sagte ich, dass ich nur wegen der Kälte ein Kopftuch trage, und hab dann demonstrativ mein Kopftuch abgenommen. Das hat denen den Rest gegeben!«
»Aber wir
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