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Deutschland allein zu Haus

Deutschland allein zu Haus

Titel: Deutschland allein zu Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Osman Engin
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können sie die gesammelten Werke von Karl May und Thilo Sarrazin an unsere Tür pinseln, stört mich überhaupt nicht.«
    »Osman, vor den Kindern wollte ich dir diesen Brief nicht zeigen, aber deine Sturheit zwingt mich regelrechtdazu«, bringt Eminanim mühsam hervor, holt einen Brief aus ihrer Tasche und stammelt:
    »Wenn ihr asoziales Pack innerhalb von 2 Wochen nicht von alleine verschwindet, werden wir euch umbringen!«
    »Ehm, das … natürlich … man könnte … wenn man unbedingt negativ denken will, fast das Gefühl bekommen, wir sind hier ein klein wenig unerwünscht«, sehe ich mich gezwungen, doch etwas nachzugeben. »Aber was machen wir mit Onkel Ömer?«
    »Wir sagen ihm, dass ich mit den Kindern meine Mutter in Hamburg besuchen will, und ihr begleitet uns jetzt bis zum Hauptbahnhof. Danach gehen wir heimlich zu Oma Fischkopf und ihr kommt nachts wieder hierher, wenn alle schlafen. Oder ihr schlaft bei Hans«, macht Eminanim einen tollen Vorschlag.
    »Klasse Idee, ich wollte schon immer in Uwe-Seeler-Bettwäsche schlafen.«
    »Zum Glück kapiert Onkel Ömer ja von alledem gar nichts.«
    »Das denkst du«, denke ich mir.

45 Gleich darauf inszenieren wir auf der Straße ein unglaublich herzzerreißendes Abschiedsdrama à la Hollywood, sodass alle Nachbarn völlig ergriffen oder hocherfreut sind – oder beides – und mit Sicherheit felsenfest annehmen, wir würden Deutschland ein für alle Mal verlassen.
    »Papa, mach schon, hör mit den komischen Krokodilstränen auf, drück aufs Gaspedal! Ich bin mir nicht sicher, ob sie die Ausländer mittlerweile einfach so wegfahren lassen«,sagt Nermin und würdigt mein grandioses Theaterstück keines Blickes.
    Und tatsächlich, als ich um die Ecke biege, sehe ich, dass direkt vor unserer Tür ein fremdes Auto anhält. Im Schutze der Müllberge beobachte ich, wie mehrere zwielichtige Typen den Karnickelweg 7b stürmen. Puuh, das war aber knapp!
    Ich denke, bis heute Nacht sind die sicherlich wieder verschwunden und unsere Wohnung wieder nazifrei.
    In der jetzt schon völlig ausländerfreien Bahnhofshalle fallen wir natürlich sofort auf. Aber nicht nur, weil wir die einzigen Ausländer, sondern weil wir die einzigen Menschen hier sind! Entweder fahren die Züge nicht mehr, oder niemand will mehr verreisen.
    Und der Ex-Dönerladen blickt uns immer noch ziemlich verwahrlost entgegen.
    Schnurstracks laufen wir zum Gleis 9 und warten nun mit Kind und Kegel und Onkel auf den Nahverkehrszug nach Hamburg. Unser genialer Plan sieht so aus, dass meine Frau mit den Kindern einsteigen und sofort wieder aussteigen wird, wenn ich mit meinem Onkel weg bin.
    »Onkel Ömer, ich habe meine Mutter schon seit ›einer halben Ewigkeit‹ nicht mehr gesehen«, meint Eminanim, um die unangenehme Spannung etwas aufzulockern.
    »Das ist aber keine so präzise Zeitangabe«, bemühe ich mich um Konversation. »Eminanim, wenn du mir und meinem Onkel Ömer nicht verrätst, was eine ›ganze Ewigkeit‹ sein soll, wie sollen wir denn da wissen, was eine ›halbe Ewigkeit‹ oder eine ›dreiviertel Ewigkeit‹ ist?«
    »Osman, als ich meine Mutter das letzte Mal sah, da wurde unser Müll noch abgeholt«, meint sie und denkt wahrscheinlich, dass diese Antwort erheblich präziser gewesen sei als die komische ›halbe Ewigkeit‹.
    »Liebe Eminanim, so konkret finde ich diese sehr orientalisch anmutende Zeitangabe immer noch nicht«, tadle ich meine Frau und lobe im gleichen Atemzug die Deutsche Bahn für ihre Pünktlichkeit. »Schau doch, wie ungemein korrekt, im Gegensatz zu dir, die Bahn mit ihren Zeitangaben umgeht: Bremen–Hamburg, um genau 18.09 Uhr! Nicht ›irgendwann nach 18.00 Uhr‹, nicht ›halbe Ewigkeit nach 18.00 Uhr‹, nicht ›wenn Eminanims Müll abgeholt wird‹, sondern ganz simpel und korrekt: um 18.09 Uhr!«
    »Na ja, es wäre aber schon besser gewesen, wenn sie ›irgendwann nach 18.00 Uhr‹ geschrieben hätten! Wir haben nämlich bereits 18.27 Uhr und ich sehe hier nirgendwo etwas Langes in den Farben Gelb und Blau, das dazu ›tut, tut, tuuutt‹ macht«, bemerkt sie unbeeindruckt.
    »Haben wir schon 18.27 Uhr? Das hieße ja, dass ich mir seit einer halben Stunde hier auf dem Bahnsteig den Hintern abfriere! Mein grenzenloses Vertrauen in die deutsche Pünktlichkeit muss mich völlig blind für die Wirklichkeit gemacht haben!«
    »Wenn in der Türkei die Bahn am Freitag nach Ankara fahren soll, dann kommen die Leute am Donnerstagmorgen zum Bahnhof und warten«,

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