Deutschland misshandelt seine Kinder (German Edition)
tatsächlich fast so leicht wie Glas.
Bruce Ramelow und Jennifer Heinze sind tief bestürzt, als sie von dieser Diagnose erfahren. Alle bei Justin festgestellten Knochenbrüche sind auf die Glasknochenkrankheit zurückzuführen. Der Junge wird ohne permanente Behandlung niemals auf eigenen Füßen stehen oder gar gehen können.
Doch die furchtbare Diagnose hat auch etwas Gutes: Die Eltern erfahren frühzeitig, wie sie ihrem Kind vermeidbare Verletzungen ersparen und durch dauerhafte Therapien zumindest die Symptome der Osteogenesis lindern können. Und der Verdacht gegen Bruce Ramelow ist durch unser Gutachten und die darin empfohlenen Folgeuntersuchungen zweifelsfrei ausgeräumt worden.
Ausgepeitscht?
Ein Hamburger Rechtsmediziner sollte ein zweijähriges Mädchen begutachten, dessen Rücken mit roten, striemenförmigen Marken bedeckt war. Der Kinderarzt hatte den Kollegen um konsiliarischen Rat gebeten: »Für mich sieht das nach einer Auspeitschung aus. Aber Sie sind der Fachmann.«
Der Rechtsmediziner wollte ihm schon zustimmen, aber ihn irritierte die völlige Symmetrie der Striemen. »So präzise kann niemand auspeitschen«, sagte er und fuhr nachdenklich mit dem Zeigefinger über den Rücken des Kleinkindes.
Seltsam war auch, dass es die Kleine überhaupt nicht zu schmerzen schien, wenn man ihre vermeintlichen Wundmale berührte.
Die Sache ließ dem Kollegen keine Ruhe. Er recherchierte und stieß schließlich auf ein rituelles Verfahren, das in der Traditionellen Chinesischen Medizin ( TCM ) gegen Erkältung angewendet wird. Dabei fährt der Heiler mit bestimmten Münzen und Stäbchen immer wieder am Rücken des Patienten herunter – und erzeugt auf diese Weise genau solche symmetrischen Striemenmuster, wie der Kinderarzt sie auf dem Rücken des kleinen Mädchens entdeckt hatte.
Um ganz sicherzugehen, suchte der Rechtsmediziner einen Allgemeinarzt auf, der neben westlicher Schulmedizin auch TCM praktizierte. Er zeigte ihm Fotos, auf denen er die »Verletzungen« festgehalten hatte – und der Arzt bestätigte ihm lachend: »Dieses Kind wurde nicht misshandelt, sondern von Schnupfen und Husten geheilt. Das tut kein bisschen weh, Kollege – wenn Sie wollen, trete ich sofort den Beweis an.«
So weit wollte der Rechtsmediziner denn doch nicht gehen. Das Rätsel war gelöst, erkältet war er auch nicht – und so begnügte er sich damit, die Eltern des chinesisch kurierten Mädchens vom Verdacht der Kindesmisshandlung zu befreien.
Blau geprügelt?
Mandy war zwei Monate alt und hatte vier Geschwister zwischen einem und vier Jahren. Ihre Eltern, Robin und Chantal Mühlmann, lebten von staatlichen Hartz- IV -Zahlungen, die sie gerne mal in Wodka investierten – mit Orangensaft gemixt wegen der Vitamine.
Mehrfach hatte das Jugendamt schon angeordnet, Mandys Geschwister vorübergehend bei Pflegeeltern unterzubringen. Wenn Robin und Chantal einen gewissen Pegelstand überschritten hatten, kam es vor, dass sie alles um sich herum vergaßen:
Ihre geräumige Sozialwohnung in einem energetisch sanierten Hochhaus im Hamburger Osten. Ihre drei Großbild-Fernseher, über die zu jeder Tages- und Nachtzeit bunte Bilder flimmerten. Und leider auch ihre Kinder, die dann stundenlang unbeaufsichtigt waren.
Deshalb hatte der zuständige Sachbearbeiter beim Jugendamt angeordnet, dass Robin oder Chantal den Säugling Mandy einmal pro Woche bei der Kinderärztin vorführen mussten.
Die Eltern waren eigentlich ganz kinderliebe Leute, nur eben mit einem Alkoholproblem und einer Abneigung gegen Arbeit. Sie mochten es, wenn ihre Kinder Desiree ( 4 ), Caprice ( 3 ), Jason ( 2 ), Marvin ( 1 ) und nun auch noch die kleine Mandy um sie herumwuselten. Und so gaben sie sich Mühe, jede Woche pünktlich bei Dr. Gesine Kettner zu erscheinen.
Als der Termin wieder anstand, zog Chantal ihrem Baby sogar extra das neu gekaufte Mützchen an. Es regnete, und die Kleine sollte sich schließlich nicht verkühlen. Vor allem aber sollte die Ärztin sehen, wie vorbildlich Chantal sich um ihre Kinder kümmerte.
Leicht schwankend betrat sie mit dem Säugling auf dem Arm die Kinderarztpraxis. Das neue Käppchen klebte regenfeucht an Mandys Kopf.
Glücklicherweise wurden sie gleich ins Behandlungszimmer gerufen. Chantal zog Mandy aus, wickelte sie in eine Kapuzendecke und setzte ihr die Kapuze auf, ohne genau hinzusehen. Schließlich kannte sie die Prozedur in- und auswendig: Dr. Kettner wollte die Kleine jedes Mal von Kopf bis Fuß
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