Deutschland misshandelt seine Kinder (German Edition)
untersuchen. Und Chantal wollte so schnell wie möglich zurück zu Robin und ihrer Wodkaflasche.
Dr. Kettner kam herein, begrüßte Chantal und rümpfte wie üblich die Nase. Dabei hatte sich Chantal extra ein Eukalyptusbonbon in den Mund geschoben. Aber die Ärztin schien sogar eine minimale Schnapsfahne zu riechen.
Chantal setzte sich auf einen Stuhl und döste vor sich hin. Dr. Kettner hatte die Kleine auf den weich gepolsterten Untersuchungstisch gelegt und wickelte sie behutsam aus der Kapuzendecke.
»Was um Himmels willen ist da passiert?«, fragte die Ärztin. In einem alarmierten Tonfall, der Chantal aus ihrem Dusel aufschreckte.
»Wieso denn passiert?«, murmelte sie.
Und dann sah sie es selbst. Über Mandys fast noch kahles Köpfchen zog sich vom Scheitel bis zu den Ohren ein riesiger blauer Fleck. Er hatte die Form einer Frisbeescheibe und sah einfach grauenvoll aus. Als hätte irgendwer der Kleinen mit einer Bratpfanne auf den Kopf gehauen.
»Ach du Scheiße«, brachte Chantal hervor.
Die Ärztin tippte mit einer Fingerspitze vorsichtig auf Mandys Kopf. Das Baby begann zu greinen.
»Wie ist das passiert?«, wiederholte Dr. Kettner in strengem Tonfall.
»Ich war die ganze Zeit bei ihr«, beteuerte Chantal. »Außer heute Vormittag, da war ich kurz mal einkaufen. Aber Robin war doch daheim und hat auf die Kinder aufgepasst!«
Die Ärztin sah sie unheilverkündend an. Chantal ahnte schon, was jetzt wieder kommen würde: Ein- oder zweimal war Robin die Hand ausgerutscht, wenn die Kurzen einfach keine Ruhe geben wollten. Aber das war schon eine ganze Weile her, und Robin war eigentlich der liebste Kerl auf der Welt.
»Für Robin leg ich die Hand ins Feuer«, erklärte sie feierlich.
Das war zwar nur so eine Redensart, aber sie erinnerte Chantal an einen Vorfall vor ein paar Monaten. Da waren sie und Robin in ihren Relax-Sesseln ganz kurz weggeduselt. Und dann der Schrei von Caprice, die eine Herdplatte angedreht und sich die linke Hand grässlich verbrannt hatte. Oder war es die rechte gewesen?
Chantal grübelte vor sich hin, während die Ärztin telefonierte.
»Wir müssen herausfinden, wie das passiert ist«, sagte Dr. Kettner, nachdem sie ihr Telefongespräch beendet hatte. »Deshalb habe ich die Spezialisten vom Institut für Rechtsmedizin gebeten, Mandy anzusehen.«
Chantal hatte mittlerweile einen Kloß in der Kehle. Sie konnte ihren Blick gar nicht mehr von dem riesigen blauen Fleck abwenden. Und wenn Robin doch wieder ausgerastet ist, ging es ihr durch den Kopf. Dieses Blau erinnerte sie an irgendetwas, aber sie kam einfach nicht drauf, woran.
Wenig später untersucht der Rechtsmediziner Mandy Mühlmann in der Praxis von Dr. Kettner.
Als Erstes fällt dem Kollegen auf, dass das Hämatom einen ungewöhnlichen Blauton hat. Es zieht sich über die Schädeldecke und an beiden Kopfseiten bis zu den Ohren des Säuglings. Allerdings kann er keinerlei Schwellungen ertasten, was bei einem Bluterguss dieser Ausdehnung gleichfalls ungewöhnlich ist. Um nicht zu sagen unmöglich.
Der Rechtsmediziner bittet die Kinderärztin um einen angefeuchteten Wattebausch. Beherzt wischt er Mandy damit über den Kopf – und legt einen Streifen rosiger Kopfhaut frei.
»Kann es sein, dass Mandy eine blaue Mütze getragen hat, als Sie heute Mittag im Regen hier hergekommen sind?«, fragt er Chantal Mühlmann.
Die Kindsmutter starrt auf Mandys Köpfchen, das er Streifen um Streifen von der blauen Farbe befreit.
»Scheiße, ja!«, ruft Chantal. »Sie wollten uns wieder mal einen Strick daraus drehen!«, fährt sie die Ärztin an. »Dabei hab ich die Mütze extra im Ein-Euro-Markt gekauft, damit Sie sehen, wie gut ich mich um Mandy kümmere!«
Sie schnappt sich den Säugling und stolziert in einer Haltung gekränkter Würde aus der Tür.
»Mir fällt ein Stein vom Herzen«, sagt die Kinderärztin.
[home]
3 Ritter mit stumpfen Schwertern: Warum der Kinderschutz versagt
Die gesetzlichen Bestimmungen sind eindeutig: Wenn
»die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen«,
dürfen die betroffenen Kinder auch
»gegen den Willen der Erziehungsberechtigten (…) von der Familie getrennt werden«
(Grundgesetz, Artikel 6 , Abs. 3 ).
Die Gesetze, die solche Eingriffe in das elterliche Sorgerecht regeln, finden sich im Bürgerlichen Gesetzbuch ( BGB ) und insbesondere im 8 . Sozialgesetzbuch ( SGB ), dem Kinder- und Jugendhilfegesetz ( KJHG ).
Im
Weitere Kostenlose Bücher