Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Deutschland schafft sich ab - Wie wir unser Land aufs Spiel setzen

Titel: Deutschland schafft sich ab - Wie wir unser Land aufs Spiel setzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Sarrazin
Vom Netzwerk:
geht beispielsweise davon aus, dass
    • die Folgen der gegenwärtigen Wirtschaftskrise mittelfristig auf geholt werden
    • Deutschland infolge der Globalisierung keine Einbußen beim Wohlstand erleidet
    • der Klimawandel sich nicht negativ auswirkt.
    Man kann nur hoffen, dass dieser Opitimismus berechtigt ist, denn auch so sind die Schwierigkeiten schon groß genug. Verfall und Gefährung sind schon lange nicht mehr zu übersehen.

4 Armut und Ungleichheit
    Viele gute Absichten, wenig Mut zur Wahrheit
    Seht die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch.
    MATTHÄUS 6.26
     
    Wer schwach und hilflos ist, wem Unglück widerfährt, wer sich und die Seinen nicht aus eigener Kraft würdig ernähren kann, dem soll und muss geholfen werden. Das sind wir als Menschen und Staatsbürger unseren Mitbürgern schuldig, und es entspricht unserem gesellschaftlichen Selbstverständnis.
    Wann aber ist jemand bedürfig, wann arm? Welche Bedeutug hat Armut in unserem Land tatsächlich, und in welchem sozialen Zusammenhang steht sie? Welche Ansatzpunkte gibt es, sie zu bekämpfen, welche Zusammenhänge bestehen zwischen den Ursachen der Armut und ihrer Bekämpfung, und welche Rolle spielt bei all dem die individuelle Wahrnehmung?
    Im Jahre 1974 forderten die Jusos, das monatliche Einkommen für eine Person gesetzlich auf 5000 DM zu begrenzen. Das stieß auf große öffentliche Empörung, und man empfand diese Grenze als willkürlich. Ich war auch empört, aber die Grenze konnte ich mir erklären: Juso-Vorsitzende war damals Heidemarie Wieczorek-Zeul, von Beruf Lehrerin, damals noch verheiratet mit Norbert Wieczorek, von Beruf Universitätsassistent. Jeder der beiden bezog damals nach dem Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) ein Einkommen der Gruppe Ha, und das belief sich 1974 auf etwa 2500 DM brutto. Wenn jemand das Doppelte verdiente, schien er ihnen offenbar reich, und so kam dieser Juso-Beschluss wohl zustande. Er war strikt an der eigenen Lebenslage orientiert. Würde man Frau Wieczorek-Zeul heute fragen, läge die Grenze vermutlich viel höher.
Es mag kein Zufall sein, dass die von der SPD 2005 durchgesetzte Reichensteuer etwa beim doppelten Gehalt eines Bundesministers beginnt.
    Eine Straßenumfrage würde wohl folgendes Ergebnis haben: Wer doppelt so viel Einkommen hat, wie der jeweilige Befragte selber, gilt als reich, wer nur die Hälfte hat, als arm. Wer mehr als doppelt so viel hat, gilt als stein reich. Darüber hinausgehende Unterschiede nimmt der Bürger gewöhnlich kaum wahr. Das ist ein Glück für die wirklich Reichen. Denn diese Wahrnehmung führt dazu, dass die Aufregung über die Dienstwagennutzung einer Bundesministerin, die im Monat 8000 Euro netto verdient, weitaus größer ist als die Aufregung über angebliche dreistellige Millionen-Boni eines Porsche-Vorstands. Armut ist also zunächst eine Sache der individuellen Empfindung.

Was ist eigentlich Armut?
    Begriffsdefinition
    Unter den vielfältigen Versprechen des Sozialstaats ist das Kernversprechen die Freiheit von materieller Not: Niemand soll hungern, dursten, frieren. Jeder soll sich vernünftig ernähren und ordentlich kleiden können und ein Dach über dem Kopf haben.
    Armut verbinden wir in erster Linie mit zerlumpten, bettelnden Kindern in indischen Slums oder mit dem Hunger in der Sahelzone. Das ist die quasi biblische Konnotation des Armutsbegriffs, und die haben wir tief verinnerlicht. Berichte über »Armut in Deutschland«, in unserem reichen Land, empfinden wir daher - wenn wir ihnen überhaupt Glauben schenken - grundsätzlich als skandalös. Dieser Begriff von Armut ist sehr emotional geprägt und nur von geringem analytischen Gehalt. Wir stellen uns nämlich einen Armen vor, der seine einfachsten materiellen Bedürfnisse nicht befriedigen kann, und sind entsprechend alarmiert. Diese Armut ist aber gar nicht gemeint, wenn wir von Armut in Deutschland hören oder lesen.
    Nach einer Allensbach-Umfrage vom August 2009 bezeichneten 15 Prozent der Befragten ihre wirtschaftliche Lage als schwierig, im Frühjahr 2008 waren es 14 Prozent. 1 Nach dem OECD-Konzept liegt das Armutsrisiko bei 60 Prozent oder weniger des Nettoäquivalenzeinkommens (mittlerer Wert der mit der Haushaltsgröße gewichteten Nettoeinkommen).Im Jahr 2005 betraf das in Deutschland 13 Prozent der Bevölkerung, 2 durchgehend über drei Jahre waren aber lediglich sieben Prozent dem

Weitere Kostenlose Bücher