Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Deutschland schafft sich ab - Wie wir unser Land aufs Spiel setzen

Titel: Deutschland schafft sich ab - Wie wir unser Land aufs Spiel setzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Sarrazin
Vom Netzwerk:
trifft nach den Beobachtungen in Deutschland bei den Migranten aus der EU und aus Osteuropa zu. Bei den muslimischen Migranten verhält es sich allerdings anders. Nicht nur, dass bei diesen die gesamte kulturelle Anpassung recht zögerlich verläuft - soweit sie überhaupt stattfindet (es wurde die teilweise sogar rückläufige Entwicklung in der zweiten Generation mehr als ausgeglichen durch die Effekte des Familiennachzugs). Aber auch ein anderer Faktor mag eine Rolle spielen, nämlich die recht starke Religiosität der muslimischen Migranten, eine Erscheinung, die in der jungen Generation sogar noch zuzunehmen scheint.
    Der Zusammenhang zwischen Fertilität und Religiosität ist seit langem bekannt. Meistens wurde er auf den traditionalen Charakter von Gesellschaften mit hoher Religiosität zurückgeführt. Die Verweltlichung der Gesellschaft und der Geburtenrückgang erschienen dann als zwei Teilaspekte ein und desselben gesellschaftlichen Modernisierungsvorgangs. Das scheint aber bestenfalls eine Teilwahrheit zu sein. So ist auffallend, dass in den USA besonders religiöse Gruppen wie die Evangelikalen oder die Mormonen eine überdurchschnittliche Geburtenrate haben, was wenigstens teilweise den Umstand
erklären mag, dass in den USA trotz des fast vollständigen Fehlens einer staatlichen Familienpolitik die Nettoreproduktionsrate der ansässigen Bevölkerung über alle Gruppen hinweg bei eins liegt.
    Unterschiedliche Untersuchungen in unterschiedlichen Ländern belegen weltweit auch für die heutige Zeit einen positiven Zusammenhang zwischen Religiosität und Fertilität. 36 Der Religionswissenschaftler Michael Blume konnte zeigen, dass mit der Religiosität die Zahl der Kinder umso mehr steigt, je bindungsstärker die Religionsgemeinschaft ist, der die Menschen angehören, und das gilt umso mehr, je stärker sie sich ihr zugehörig fühlen. 37 Blume versucht zu belegen, dass dieser Zusammenhang über die Zeiten hinweg systematisch besteht: Je säkularer und glaubensferner ein Volk oder eine soziale Gruppe ist, umso niedriger ist auch die Geburtenrate.
    Religion war niemals zu trennen vom Tod und von der Entstehung des Lebens, damit auch nicht von Sex und Fortpflanzung. Die Erhaltung und Vermehrung des Lebens war zu allen Zeiten ein religiöses Gebot. Religiöse Bindung stärkt das Gruppenverhalten, fördert den Altruismus und lenkt den Blick generell mehr auf jene Werte und Ziele, die das eigene Ich transzendieren. Wenn die von Blume schlüssig begründete und sauber belegte Verbindung zwischen Religiosität und generativem Verhalten tatsächlich besteht, so hätte dies zur Folge, dass sich die demografischen Gewichte immer wieder neu zu religiösen Gruppen hin verschieben, wobei dahingestellt bleiben mag, ob Religiosität durch die soziale Überlieferung und den kulturellen Kontext vermittelt wird oder ob auch eine genetische Komponente eine Rolle spielt. Letzteres ist wahrscheinlich, da es zu allen Zeiten unter allen Menschen irgendeine Form von Religiosität gab. Wie immer die Erklärung auch lautet, die rein empirische Tatsache, dass die Nettoreproduktionsrate mit der Religionsnähe steigt, ist vielfach belegt. Ein besonders starker Beleg ist die von Michael Blume vorgenommene Auswertung der Schweizer Volkszählung vom Jahr 2000. Die Teilnahme war gesetzlich verpflichtend. Über 96 Prozent der Schweizer gaben dabei ihre Religionszugehörigkeit an. Differenziert nach der Zahl der Lebendgeborenen je Frau ergab sich dabei folgendes Bild: 38

    Hinduismus
2,79
Islam
2,44
jüdisch
2,06
freikirchlich
2,04
Evangelikale
2,02
Schweizer Durchschnitt
1,43
römisch-katholisch
1,41
evangelisch-reformiert
1,35
keine Religion
1,11
     
    Blume behauptet: »In einem gewissen Sinne wächst Religiosität... auch nach Perioden der Säkularisierung immer wieder in neuen Formen nach, sowohl durch demografisch erfolgreich adaptierte religiöse Minderheiten im Inneren wie durch (meist aus religiös-kinderreicheren Familien stammende) Zuwanderung. Und diese Befunde sind natürlich auch für die Evolutionsforschung des Menschen außerordentlich interessant, legen sie doch nahe, dass auch Religiosität als erfolgreiches, genetisch veranlagtes Merkmal evolviert sein könnte - und weiter evolviert.« 39 Und Friedrich August von Hayek, selbst ein Agnostiker, schrieb der religiösen Gesinnung einen natürlichen Selektionsvorteil zu, wenn sie Altruismus, die Existenz der Familie und Sondereigentum befördert, mithin Sachverhalte, die

Weitere Kostenlose Bücher