Deutschlandflug
gekonnt, mit der gleichen Hand an. Wenn der wartende Mann vor der Zelle hätte einspringen wollen – er wäre zu spät gekommen. Er machte gar nicht den Versuch; dieses eine Mal ließ es sie kalt, eiskalt:
»Hallo?«
»Hier Flugdienstzentrale ›Avitour‹, Voorst.«
»Hören Sie! Ich habe eine wichtige Nachricht für Sie!«
»Ja?«
»Sie müssen sofort, hallo … hören Sie?«
»Ja, bitte?«
»Eine dringende Nachricht an Flugkapitän Bloch. Ich bin seine Frau!«
»Sie sind Frau Bloch?«
»Frau Voorst: Haben Sie Kontakt mit meinem Mann? Sie müssen ihn sofort zurückrufen. Es ist …«
»Ja, Frau Bloch. Es ist eine Bombe an Bord. Wir wissen … Wir versuchen seit Stunden, Sie zu erreichen. Sie müssen sich keine Sorgen machen …«
»Was, bitte, ist an Bord?«
»Eine Bombe, Frau Bloch. Aber bitte, machen Sie sich …«
»Woher wissen Sie das?«
»Wissen wir was? Das mit der Bombe? Wir haben eine Warnung erhalten, Frau Bloch. Wir haben versucht, Sie zu …«
»Das soll wohl ein Witz sein, wie? Ich weiß: Mein Mann ist ein Liebhaber makabrer Scherze …«
»Bitte? Moment, ich gebe Ihnen mal Herrn Gundolf, das ist hier bei uns der zuständige Herr für diese Angelegenheit, Moment bitte!«
Rut Bloch trommelte gegen die Scheibe, genau dort, wo der Mann geduldig stand und wartete. Er war mit einer ockerbraunen Cordjacke bekleidet, nicht unsympathisch; aber sie verstand die Welt nicht mehr. Sicherheitshalber warf sie zwei Markstücke nach – ihre einzige Sicherheit.
»Hier Gundolf, hallo?«
»Ist dort noch immer die Flugdienstzentrale? Ich verstehe das alles nicht, ich bin Frau Bloch, hören Sie, Rut Bloch; und ich möchte Ihnen sagen: An Bord des Flugzeuges meines Mannes … Mein Mann fliegt doch, nicht wahr? Ich habe das eben aus dem Fernsehen erfahren …«
»Ja, Ihr Mann ist an Bord, Frau Bloch. Und wir haben schon versucht, Sie …«
»Es ist eine Bombe an Bord … Sie geht um Viertel vor … um, Moment, mein Geld ist … Moment bitte!«
Aber es war schon zu spät. Das letzte Markstück klemmte und blockierte den Münzschlitz. Wütend schlug sie gegen den Apparat, bis der Mann vor der Zelle die Tür aufriß.
»Meinen Sie nicht, Sie hätten jetzt lange genug telefoniert?«
»Ich brauche dringend ein paar Münzen!« Sie fühlte, wie ihr übel wurde, fühlte, wie Whisky, Wein, Gin und Bier in ihrem Magen endlich die Oberhand gewannen, fühlte, wie der Boden sank; sie griff sich fest, fiel, mußte sich übergeben.
»Das fehlte noch! Erst stundenlang die Zelle blockieren, dann mir meine mühsam gesammelten Münzen abbetteln und dann kotzen!« Er knallte wütend die Tür hinter sich zu. »Besoffenes Weibsbild!« Sie hatte ihren Arm um den rettenden Laternenpfahl vor der Zelle geschlungen und hielt sich mit gelösten Haaren kopfabwärts fest: ein Szenenbild aus einer Bluesburleske.
Die Uhr daneben zeigte 20 Uhr 38.
Thomas stand inmitten seiner Kommunikationstechnik, nicht weniger ratlos als Bloch. Über die Monitoren glitt die elektronische Leuchtschrift wie Werbung für eine bessere Welt, die von Robotern regiert wurde.
Nach dem Anruf Frau Blochs hatte er mit einem einzigen Griff die linke, nicht funktionierende Stuhllehne nach unten gedrückt und aus dem Scharnier gebogen. Sie hing herab wie der abgespreizte Knochen eines gebrochenen Gliedes.
»War das Frau Bloch? Oder noch immer ein Terrorist, der überlebt hat?«
»Oder ist Frau Bloch die Terroristin? Das ist absurd!«
»Wir müssen Bloch verständigen!« mahnte Allermann.
»Ich rufe bei Frau Bloch an!« beschloß Ulla. »Wenn sie sich meldet und von nichts weiß, dann ist der Fall geklärt!«
»Sie hat was von Viertel vor gesagt!« – Allermann wieder. »Wenn Sie Viertel vor neun meint, dann ist das in drei Minuten!«
Gundolf stand zwischen seiner Crew, seinen Apparaturen – machtlos, hilflos, entschlußlos. Seine Stirn war feucht; sein Herz klopfte.
»Mein Gott! Wenn ich jetzt Bloch Nachricht gebe – was soll er machen? Im Sturzflug notlanden? Innerhalb von drei Minuten? Rolf, was soll ich tun?«
Allermann schwieg. Er wählte den Krisenstab an.
»Ulla? Wenn ich ihn zum Sturzflug verleite, und er stürzt durch dreizehntausend Fuß – was passiert dann?«
Ulla Voorst schwieg. Sie versuchte Frau Bloch zu erreichen.
Gundolf sah ratlos von einem zum andern. Seine Blicke hefteten sich auf die Uhr: 20 Uhr 43. Vielleicht meinte die Anruferin Viertel vor zehn? Oder Viertel vor elf? Vielleicht war alles eine Finte?
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