Deutschlandflug
seiner Nerven und Muskeln, breitete sich kosmische Ruhe aus. Eine Feststellung, die jenseits aller bisherigen Erfahrungen lag. Etwas war da, das inmitten des Grauens wie ein Felsen ausstrahlte, unerschütterlich und unbezwingbar, und zu wachsen begann.
Er spürte Bewegung, leichtes Schaukeln. Flogen sie noch? Weich und träge, wie auf einer Oberfläche aus heißem, flüssigem Kupfer, glitt er dahin. Oder hing er – und der Kosmos kreiste um ihn?
Wie lange dauerte die Tortur der Ungewißheit schon? Sekunden? Äonen? Was war Realität? Was Traum? Was Tod? Wo war er?
Er spürte Flüssigkeit in den Mundwinkeln. Er bewegte die Zunge, um den Speichel, das Blut abzulecken. Er bewegte die Zunge; er lebte also. Der Speichel troff auf seine Luftstraßenkarte, ›Variation for 1976 annual change – 5' … FIR/CTA Shanwick Oceanic Radio 127.9 … cruising levels applicable in all fir's an this chart …‹ Botschaften, die ihn nicht mehr erreichten. Unentschlüsselbare Codeworte … Die Maske, die Sauerstoffmaske wo war sie? Er tastete rückwärts, er war gedrillt worden, sie sich im schlimmsten Fall, der plötzlichen Dekompression, überzustülpen.
Wieder spürte er Schmerzen. Kamen sie aus der Lunge? Wenn er Schmerzen fühlte, lebte er. Ja, er lebte; und er flog: Er flog noch immer!
Er hörte ein neues Geräusch: Die Tür flog auf!
Bloch starrte ins Cockpit, als erblicke er die Zerstörung Pompejis. Der Bezug seines Sitzes war gespickt mit Splittern und Metallfetzen, die Arbeitstasche nichts als ein zerfranstes Stück Leder. Blitzartig registrierte er das Wichtigste:
Sie flogen! Nummer zwei: Niemand war tot oder ernsthaft verletzt. Nummer drei: Es hatte kein Feuer gegeben. »Alle Systeme in Ordnung?«
Er war wieder voll da; seine Blicke glitten fieberhaft über die Instrumente des Bordingenieurs. Brinkmann meldete:
»Ein Generator ist abgefallen. Den krieg' ich aber wieder!«
»Den brauchen wir nicht! Kabinendruck okay?«
»Druck okay!«
Dem Himmel sei Dank: keine Beschädigung der Außenhaut! Und Mahlberg flog von Hand. Natürlich, bei der Detonation waren Autopilot und Flugleitsystem herausgesprungen. Aber man würde sie wieder einschalten können. Und wenn nicht: auch gut!
»Sind Sie verletzt?«
Brinkmann schüttelte den Kopf; aber er blutete aus einer Splitterwunde an der Stirn.
»Nichts Schlimmes!«
»Und Sie, Mahlberg?«
»Alles in Ordnung und unter Kontrolle! Alle Steuersysteme sind einwandfrei. Nur die Glasscheibe vom Variameter ist hin!«
»Gut! Mein Sitz wohl auch!«
Er sah sich um. In der Cockpittür drängten sich drei Stewardessen mit verstörten Gesichtern. Aus dem Deckenlautsprecher schepperte die Stimme eines Fluglotsen:
»AVI 2000, AVI 2000! Hören Sie uns? Hören Sie uns?«
»Sogar der Funksprechverkehr scheint in Ordnung zu sein!« kommentierte Bloch gelassen. »Die sollen nur schreien. Wir haben Wichtigeres zu tun! Frau Gundolf: Wie wäre es mit einem Pflaster für unseren Bordingenieur?«
Margot war schon fort, um den Erste-Hilfe-Koffer zu holen.
Nachdem Bloch den ersten Überblick gewonnen hatte, spürte er ungeheuerliche Erleichterung! Kein Druckverlust in der Kabine – das Schreckgespenst aller Piloten! Kein Sturzflug notwendig! Wenn Druck und Sauerstoff in großer Höhe schlagartig entwichen, standen ganze drei Minuten zur Verfügung, das Flugzeug auf eine Höhe unter 4.000 Meter zu stürzen, wo die Gefahr des Höhentodes gebannt war. Zwar fielen bei Druckverlust für die Passagiere Sauerstoffmasken heraus. Auch die Besatzung war in harter Ausbildung darauf trainiert worden, sofort die Masken aufzusetzen und nach einem exakt festgelegten Verfahren durch Ziehen der Bremsklappen, Abkippen und Andrücken einer über 200 Tonnen schweren Maschine zu stürzen. Aber man wußte: Da gab es Passagiere, alte Mütterchen und geschockte Frauen, hilflose Kinder und verletzte Männer, die dachten nicht daran, die vor ihrem Gesicht baumelnde Sauerstoffmaske auf Mund und Nase zu drücken. Mochten die Stewardessen bei jedem Start noch so eindringlich und mit stereotyper Beharrlichkeit auf diese Masken hinweisen und ihre Benutzung demonstrieren – für den Ernstfall machte er sich keine Illusionen. Dabei reichten zwanzig Sekunden ohne Sauerstoff schon für den Höhentod aus – bei Herzkranken noch weniger!
Diese Gefahr war gebannt. Bloch atmete auf.
Während Margot den Bordingenieur behandelte, ließ er sich eine Decke nach vorn reichen, entfernte mühsam die gröbsten
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