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Deutschlehrerin

Deutschlehrerin

Titel: Deutschlehrerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Taschler
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Deiner Unterhose am Strand um mich, um den Sänger, um das Feuer herumtanzt und das Meer neben uns plätschert. Du warst an jenem Abend so wunderschön.
    Schreib mir doch zurück, bitte schreibe mir, um der guten alten Zeiten willen.
    Xaver
    Gesendet: 11.Jänner 2012
Von: M. K.
An: Xaver Sand
    Xaver,
    jedes Mal, wenn ich an dich denke, habe ich ein anderes Bild vor mir.
    Vor fast sechzehn Jahren, am 16. Mai, stand ich sehr früh auf und radelte in die Schule. Du schliefst noch und wie immer verabschiedete ich mich mit einem Kuss. Je nachdem, wie du lagst, erwischte ich eine Wange, die Stirn oder deine Haare, an dem Morgen waren es deine Haare. Es wäre falsch, wenn ich behaupten würde, ich hatte es bereits geahnt. Ich hatte nämlich nichts, rein gar nichts, geahnt und das war das Schlimmste.
    An dem Tag unterrichtete ich sechs Stunden hintereinander, in der Mittagspause machte ich die Aufsicht in der Mensa und dann hielt ich noch eine Stunde Förderunterricht ab. Es war ein sehr heißer und schwüler Tag, das weiß ich auch noch. Ich kann mich noch an ein paar Einzelheiten erinnern, wie zum Beispiel, dass die 3c die Schularbeit schrieb, ihre erste Erörterung, und dass ich mit der 4b eine Diskussionsrunde machte: »Sollen Tierversuche gänzlich abgeschafft werden?« Ja, und am Nachmittag kaufte ich noch ein, Salat, Tomaten, Paprika, Vollkornbrot, Butter, Schnittlauch. Du aßest zu der Zeit so gerne am Abend, wenn es heiß war, einen gemischten Salat mit Schnittlauchbroten. Erinnerst du dich?
    An der Wohnungstür läutete ich, du öffnetest aber nicht, deshalb stellte ich alle Taschen auf den Boden und sperrte auf. Ich dachte, dass du eine Runde mit dem Rad fährst oder bei Paul oder Georg bist oder sonst irgendetwas erledigst. Ehrlich gesagt dachte ich mir nicht viel, wir hatten nicht diese Art von Beziehung, bei der jeder ständig wissen musste, wo der andere war oder was er gerade machte.
    Ich öffnete die Tür und sah sofort, dass etwas nicht stimmte. In der ersten Sekunde wusste ich nicht, was es war, aber dann fiel es mir auf: Der Gang wirkte viel leerer als sonst. Auf dem Boden standen keine Schuhe von dir und auf den Haken hingen deine Jacken nicht. Auch dein Regenschirm, der dunkelblaue Knirps, war nicht mehr da. Zuerst war ich erstaunt, ich kannte mich nicht aus, ich meinte, du hättest vielleicht aufgeräumt oder entrümpelt.
    Aber dann schloss ich die Tür und sah, dass an der Wand hinter der Tür das eingerahmte Foto der rumänischen Landschaft fehlte. (Es war das eine, das du gemacht hattest, als du mit Paul in Rumänien unterwegs gewesen warst. Auf dem Foto war diese alte, zahnlose Frau zu sehen, die eine Holzkarre voll Gemüse auf einem Wiesenweg schob, eine kleine Katze saß auf den Zucchini, dahinter die weite grüne Landschaft.) Das Bild war weg und der weiße Fleck leuchtete auf der Wand. Das zweite Bild daneben hing noch. Es war das, das ich in Korsika gemacht hatte, von dem Sonnenuntergang am Meer, in dieser Bucht von Pinarellu.
    Das Bild, das du gemacht hattest, war also weg. In dem Moment wusste ich es bereits oder zumindest ahnte ich es. Obwohl ich noch krampfhaft dachte: Es kann ja sein, dass Xaver gerade einen anderen Rahmen dafür besorgt oder dass es ihm nicht mehr gefällt und es deswegen abgenommen hat. Ich ging in die Küche und dort war alles wie immer, nichts fehlte. Dann sah ich, dass sehr wohl etwas fehlte: deine benutzte Kaffeetasse, die du jeden Tag in die Abwasch stelltest. Wir räumten immer erst am Abend den Geschirrspüler ein. Hast du es so eilig gehabt, wegzukommen, dass du nicht einmal mehr deinen Kaffee in der Früh hast trinken können, auf den du nie verzichtet hast?
    Im Wohnzimmer sah die Bücherwand erschreckend leer aus, alle deine Bücher waren weg und auch deine CD s. Und in unserem Arbeitszimmer fehlten dein Schreibtisch samt Drehstuhl und auch das neue Regal, mein Schreibtisch und mein Regal standen vereinsamt da, es war ein zur Hälfte komplett leerer Raum. Der Parkettboden glänzte an der Stelle, an der der Schreibtisch gestanden war, dunkel. Im Schlafzimmer war deine Seite des Kastens leer und dein Wohnungsschlüssel lag auf dem Nachtkästchen. Keine Erklärung auf irgendeinem Zettel, nur dein Schlüssel.
    Das ist das Bild, das ich vor mir habe, wenn ich an dich denke: diese dunkle, rechteckige Stelle im Parkettboden. Sie erinnerte mich noch lange an dein feiges Verschwinden. So lange, bis ich nach Innsbruck übersiedelte, weil ich es nicht länger

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