Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Deutschlehrerin

Deutschlehrerin

Titel: Deutschlehrerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Taschler
Vom Netzwerk:
kann man nicht nachsehen! Wie wollen Sie in einen geschlossenen Betonbehälter hineinsehen, in dem Methangas organische Stoffe zersetzt? Es war … einfach nur ein Gefühl! Jakob war von der Biogasanlage immer angezogen gewesen. Es war naheliegend, dass er hinläuft und nachsieht. Und der Schacht war offen! Ich vergaß ihn zuzumachen! Es war meine Schuld!
    J. Z.: Was passierte dann?
    X. S.: Ich musste mich zwingen mich zu beruhigen und dann … legte ich das Brett und den Sandsack auf den Schacht.
    J. Z.: Gegenüber der Polizei gaben Sie an, der Schacht wäre den ganzen Tag zugedeckt gewesen?
    X. S.: Es wurde nicht danach gefragt und ich gab diesbezüglich gar nichts an. Ich musste also nicht einmal eine falsche Aussage machen. Ich erzählte dieses Detail nicht einmal Liv und schleppte es die ganze Zeit mit mir alleine herum. Es machte mich wahnsinnig.

XAVERS BRIEF AN MATHILDA AUS DER UNTERSUCHUNGSHAFT
    Liebe Mathilda!
    Vor drei Tagen wurde ich an das Gefängnis in der Stadelheimerstraße in München überstellt. Hier ist meine Zelle ungefähr zwölf Quadratmeter groß, hat ein Bett, einen quadratischen Tisch, einen Stuhl davor, eine kleine Kommode mit einem Fernseher darauf, ein einziges nordseitiges Fenster und im rechten Eck (von der Tür aus gesehen) befindet sich die Nasszelle.
    Vorgestern war mein Anwalt hier, er meinte, er werde auf »Fahrlässige Tötung durch Unterlassung« plädieren, was dann bereits verjährt wäre, ich müsse mir keine Sorgen machen.
    Von Liv erhielt ich bisher nur eine knappe E-Mail, die ich unter Aufsicht lesen durfte, sie schrieb mir, dass ihre Falschaussage unter die Verjährungsfrist falle und dass sie absolut nicht verstehen könne, warum ich bezüglich des Einspülschachts nie die Wahrheit gesagt habe und jahrelang die Mutter des Kindes, einen ganzen Polizeiapparat und überhaupt alle an der Nase herumgeführt habe. Sie schloss mit den Worten, dass sie sehr enttäuscht sei.
    Denise bestand darauf, mich sehen zu wollen, zuerst weigerte ich mich, dann gab ich schließlich nach, im Grunde war es mir dann gleichgültig, ihr in die Augen sehen zu müssen, im Geiste malte ich mir vorher eine filmreife Szene aus: Sie stolziert mit hochhackigen Schuhen in das Besucherzimmer, mustert mich von oben bis unten voller Hass und verpasst mir dann eine gewaltige Ohrfeige, sodass meine Wange rote Abdrücke hat, bevor sie hoch erhobenen Hauptes den Raum wieder verlässt. Es war dann natürlich nicht so.
    Sie war in Schwarz gekleidet und hatte auch keine hohen Schuhe an, sie trug ein sehr einfaches, schwarzes, knielanges Kleid und es wirkte weder übertrieben noch melodramatisch, sondern hatte einfach seine Richtigkeit; als ich sie in diesem schwarzen Kleid sah, wurde mir Jakobs Tod erst vollends bewusst, er war damals wirklich gestorben, an dem heißen Tag im Mai, der kleine rothaarige Mann mit den Sommersprossen, der gerade mal »Mama« und »Papa«, »Taktor« und »Kuh« und »Feuawääh« hatte sagen können, dadurch dass Denise ein schwarzes Kleid trug, wusste ich im ersten Augenblick, dass für sie meine Vermutung, die ich vierzehn Jahre lang für mich behalten hatte, auch Tatsache geworden war. Sie war bereits sechsundfünfzig Jahre alt und immer noch eine sehr attraktive Frau, sie war so ruhig und gefasst, wir konnten kaum miteinander reden, nur ein paar Sätze, da wir beide die meiste Zeit weinten, wir saßen uns gegenüber, hielten uns an den Händen und weinten, sie sah so schmal und verletzlich aus, alles was sie sagte, war, dass sie es oft gespürt habe, dass Jakob nicht mehr am Leben sei und sich gewünscht habe, er möge doch einen schnellen, schmerzlosen Tod gefunden haben und nicht Unvorstellbares irgendwo erleiden müssen, sie sagte auch, dass sie es nicht schaffe, mich zu hassen, sie habe zu Jesus gefunden. Sie entschuldigte sich sogar dafür, dass sie mich damals benutzt hatte, um von einem Menschen wegzukommen, den sie nicht mehr liebte und vor dem sie Angst hatte. Nachdem sie gegangen war, konnte ich mich stundenlang nicht beruhigen, so aufgewühlt war ich, ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen, hatte immer ihr blasses Gesicht mit den großen grünen Augen vor mir und ihre kleinen dünnen Hände, denen man das Alter ansah und mit denen sie meine Hände hielt und streichelte.
    Liebe Mathilda, aber eigentlich wollte ich Dir in meinem Brief ganz etwas anderes erzählen, etwas, das mit Dir und mir zu tun hat. Erinnerst Du Dich an das Feuer, von dem ich Dir in einer E-Mail

Weitere Kostenlose Bücher