Deutschlehrerin
Zeit mit Jakob draußen im Garten, wir saßen in der Sandkiste und machten einen Sandkuchen nach dem anderen. Er war an dem Tag außergewöhnlich ruhig und brav, das weiß ich heute noch genau, ich war ihm sogar dankbar dafür. Dann kam Liv zurück und wir aßen gemeinsam zu Mittag, die Haushälterin hatte Lasagne für uns drei gemacht. Nach dem Mittagessen schlief Jakob für gewöhnlich zwei bis drei Stunden. Ich ging in mein Arbeitszimmer und schrieb an meinem Roman weiter. Weil es warm war, setzte Liv den Kleinen in den Kinderwagen und fuhr mit ihm eine Runde im Garten. Er schlief sofort ein, sie stellte den Kinderwagen unter einen Apfelbaum und setzte sich auf eine Decke, um zu lernen. Nach …, nach einer Weile kam ich zu ihr. Das war ungefähr gegen drei Uhr. Wir küssten uns und weil Liv nicht neben dem schlafenden Kind Sex haben wollte, gingen wir in die Scheune. Eigentlich war es keine richtige Scheune, es war die Garage für den Traktor, den Anhänger und die ganzen Maschinen.
J. Z.: Warum ausgerechnet dorthin?
X. S.: Weil man von dort, wenn man das Tor etwas offen stehen ließ, den Kinderwagen sehen konnte. Wären wir ins Haus gegangen, hätten wir den Kinderwagen nicht im Blickfeld gehabt.
J. Z.: Wie lange waren Sie in der Scheune mit Frau Lundström?
X. S.: Ungefähr zwanzig Minuten, fünfundzwanzig Minuten, ich weiß es nicht genau, wir haben nicht auf die Uhr geschaut.
J. Z.: Während Sie in der Scheune beziehungsweise Garage waren, hatten Sie da den Kinderwagen in Sichtweite?
X. S.: Ja, wir konnten ihn von da aus sehen, aber wir – na ja – sahen nicht die ganze Zeit hin.
J. Z.: Wie weit war der Kinderwagen von Ihrem Standort entfernt?
X. S.: Ungefähr zwanzig Meter.
J. Z.: Sie wollen damit sagen, Sie hatten Verkehr mit Frau Lundström und ließen den Kinderwagen aus den Augen?
X. S.: Genau das will ich damit sagen. Es lagen ein paar alte Decken auf dem Boden und Liv legte ihre Decke darauf und dann hatten wir – Verkehr. Als wir dann zum Kinderwagen hinsahen, war er leer.
J. Z.: War die Decke, ich nehme an, er war zugedeckt, noch im Kinderwagen oder war sie auch weg?
X. S.: Seine Decke war noch da.
J. Z.: Wieso konnten Sie dann eindeutig sehen, dass das Kind nicht mehr im Kinderwagen lag?
X. S.: Es war eindeutig zu sehen! Die Decke lag im Gras und der Kinderwagen war leer.
J. Z.: Was passierte dann?
X. S.: Er war also aufgewacht und ganz leise aus dem Kinderwagen geklettert und weggerannt. Vielleicht hatte er uns auch gesehen und war verwirrt gewesen. Ich weiß es bis heute nicht, warum wir ihn nicht hörten. Wir standen sofort auf, liefen hinaus und suchten ihn. Wir dachten, er würde irgendwo spielen. Als wir ihn nach einer Viertelstunde nicht gefunden hatten, gerieten wir in Panik, das heißt Liv geriet sofort in Panik. Und nach einer halben Stunde rief ich die Polizei an und sagte, dass mein Sohn spurlos verschwunden ist. Die Polizei tippte dann sofort auf Entführung, obwohl nie Lösegeld von Denise gefordert wurde.
J. Z.: Langsam. Sie besprachen das vorher mit Frau Lundström?
X. S.: Natürlich. Wir waren gelähmt vor Angst, wir konnten es nicht fassen, was da passiert war. Liv schrie die ganze Zeit: Ich habe die Aufsichtspflicht verletzt, ich komme ins Gefängnis! Ich beruhigte sie und erklärte ihr, dass ich jetzt wirklich die Polizei anrufen müsse, weil ich befürchtete, dass jemand in den Garten eingedrungen sei und Jakob entführt habe. Sie flehte mich an, niemandem die Wahrheit über uns zu sagen. Sie wollte vor meiner Frau und vor allem vor ihrem Freund, ihren Eltern, ihren Freunden und überhaupt in der Öffentlichkeit nicht als Flittchen dastehen, es wäre für sie sehr entwürdigend gewesen. Das Ganze würde ohnehin noch schrecklich genug für sie werden, das ahnte sie schon. Ich studierte also mit ihr ein, was sie sagen sollte: Ich hätte im Arbeitszimmer geschrieben, das zur anderen Seite des Hauses hinausgeht, und sie hätte in der Scheune kurz mit ihrem Freund telefoniert, währenddessen sei Jakob spurlos verschwunden. Liv wollte das unbedingt so. Sie spürte schnell, dass es einen großen Unterschied macht, ob die Aufsichtspflicht verletzt worden ist, weil ein junges Mädchen vor lauter Heimweh und Sehnsucht mit dem Freund telefoniert, oder ob es in dem Moment, in dem das Kind verschwindet, Sex hat. Obwohl wir beide ja dann hätten verantwortlich gemacht werden können.
J. Z.: Ihnen muss diese Variante auch recht gewesen sein? Es wäre für Sie ja auch
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