Dexter
zog es hervor, warf stirnrunzelnd einen Blick darauf, sprang auf und sagte: »Oh, verflixt. Ich fürchte, ich muss sofort los, so reizend eure Gesellschaft auch sein mag.«
»Sein mag«, murmelte Astor, während sie zuschaute, wie Cody auf dem Bildschirm Punkte anhäufte. »Aber nicht ist.«
Brian bedachte sie mit seinem breiten künstlichen Lächeln. »Für mich ist sie das, Astor«, sagte er. »Ihr seid meine Familie. Jedoch«, fuhr er fort und lächelte noch breiter, »die Pflicht ruft, und ich muss zur Arbeit.«
»Es ist
Nacht
«, sagte Cody, ohne aufzusehen.
»Ja, das stimmt«, sagte Brian. »Aber manchmal muss ich auch nachts arbeiten.« Er bedachte mich mit einem heiteren Blick, fast, als wollte er mir zuzwinkern, und meine Neugier siegte über meine Erschöpfung. »Wo arbeitest du eigentlich zurzeit?«
»Im Dienstleistungsgewerbe«, antwortete er. »Aber jetzt muss ich wirklich los.« Er klopfte mir auf die nicht von Lily durchweichte Schulter. »Nach allem, was du durchgemacht hast, brauchst du sicherlich deinen Schlaf.«
Ich gähnte, was Leugnen zwecklos machte. »Ich glaube, du hast recht.« Ich stand auf. »Ich bring dich zur Tür.«
»Nicht nötig«, sagte Brian und ging zur Küche. »Rita? Ich danke dir wieder einmal für ein wunderbares Essen und einen reizenden Abend.«
»Oh.« Rita trat aus der Küche und trocknete sich dabei die Hände mit einem Geschirrtuch ab. »Aber es ist doch noch früh, und … Möchtest du einen Kaffee? Oder vielleicht …«
»Leider nein, ich muss mich wirklich sputen«, wehrte Brian ab.
»Was bedeutet sputen?«, fragte Astor.
Brian zwinkerte ihr zu. »Es heißt so schnell wie Spucke sein«, behauptete er, dann drehte er sich zu Rita um und umarmte sie unbeholfen. »Herzlichen Dank, meine Liebe, und gute Nacht.«
»Das tut mir aber leid … Ich meine, so spät noch arbeiten und … Vielleicht ein neuer Job? Weil das doch wirklich nicht …«
»Ich weiß«, sagte Brian. »Aber diese Arbeit entspricht haargenau meinen Fähigkeiten.« Er sah mich an, und ich spürte, wie aus meinem Magen eisige Übelkeit aufstieg. Er besaß nur eine mir bekannte Fähigkeit, und soweit ich wusste, würde ihn dafür niemand bezahlen. »Zumal«, fuhr er an Rita gewandt fort, »man angemessen entschädigt wird, und im Moment habe ich auch keine Wahl. Also lebt wohl, ihr Lieben.« Er hob die Hand und wandte sich zur Tür.
»Brian«, sagte ich zu seinem Rücken, während ich ein herzhaftes Gähnen unterdrückte, das drohte die Kontrolle über meinen Körper zu übernehmen.
Brian drehte sich um und sah mich fragend an. »Dexter?«
Ich versuchte, mich zu erinnern, was ich hatte sagen wollen, doch das Gähnen hatte mich alles andere vergessen lassen. »Nichts. Gute Nacht.«
Wieder lächelte er sein schreckliches künstliches Lächeln. »Gute Nacht, Bruder. Geh schlafen.« Er öffnete die Haustür und wurde von der Nacht verschluckt.
»Wie schön«, meinte Rita, »allmählich gehört Brian richtig zur Familie.«
Ich nickte und spürte, wie ich leicht schwankte, als brächte mich das Nicken aus dem Gleichgewicht, und ich würde gleich mit dem Gesicht voran zu Boden stürzen. »Ja, das tut er wohl«, sagte ich, wobei ich meine Worte selbstverständlich mit einem Gähnen unterstrich.
»Oh, Dexter, du Armer … Du musst sofort ins Bett; du musst doch … Gib mir das Baby«, sagte Rita. Sie warf das Geschirrtuch in die Küche und eilte herbei, um mir Lily Anne abzunehmen. In meinem erbarmungswürdigen körperlichen Zustand fand ich es erstaunlich, wie rasch sie sich bewegen konnte. Innerhalb kürzester Zeit hatte sie Lily Anne in ihrem Körbchen verstaut und scheuchte mich den Flur entlang ins Schlafzimmer. »So, jetzt gehst du schön heiß duschen und dann ab ins Bett, und morgen früh solltest du dich mal richtig ausschlafen. Sie können ja nicht erwarten … Ich meine, nach allem, was du durchgemacht hast?«
Ich war viel zu müde, um zu antworten. Es gelang mir, unter die Dusche zu wanken, und selbst dort konnte ich den Dreck und Schmutz spüren, den der furchtbare Tag an mir hinterlassen hatte. Es fiel mir außerordentlich schwer, unter dem heißen Wasserstrahl lange genug wach zu bleiben, um mich gründlich zu säubern, und ich war selig, als ich endlich in die Kissen fiel, die Augen schloss und die Decke bis ans Kinn zog …
… und selbstverständlich nicht einschlafen konnte. Ich lag mit geschlossenen Augen da und spürte, wie tiefer Schlaf auf der anderen Seite des
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