Dexter
mit ihm zu tun war.
»Ich glaube, du hast recht«, sagte ich. »Acosta hat sie da reingezogen. Samantha ist vermutlich auf dem Weg zu ihm.«
Deborah starrte mich an. Auf ihren Wangen brannten rote Flecken, ihre Augen loderten. »Also gut«, knurrte sie schließlich. »Ich finde den kleinen Mistkerl. Und dann …«
Manchmal ist das Beste, was man erwarten kann, eine Atempause und ein Themawechsel, und beides hatte ich eindeutig erreicht. Jetzt konnte ich nur darauf hoffen, dass Debs sich in der Zeit, die sie brauchte, um Acosta zu finden, ein wenig abkühlte und beschloss, dass ihren Schurken an Dexter zu verfüttern nicht der Weisheit letzter Schluss war. Vielleicht erschoss sie ihn ja persönlich. Auf jeden Fall war ich aus dem Schneider – zumindest vorübergehend.
»Okay«, sagte ich. »Wie willst du ihn finden?«
Deborah richtete sich auf und strich ihre Haare zurück. »Ich rede mit seinem alten Herrn. Er weiß, dass Bobbys einzige Chance darin liegt, in Begleitung seines Anwalts hier zu erscheinen.«
Das klang sehr vernünftig – allerdings war Joe Acosta ein wohlhabender und einflussreicher Mann und meine Schwester eine zähe und hartnäckige Frau, und ein Treffen zweier so gearteter Personen würde wahrscheinlich wesentlich ruhiger verlaufen, wenn wenigstens eine der anwesenden Personen über ein bisschen Takt verfügte. Deborah hatte nie welchen besessen; vermutlich konnte sie das Wort nicht einmal buchstabieren. Und aus seinem Ruf zu schließen, gehörte Joe Acosta zu den Menschen, die Takt kauften, falls sie jemals welchen benötigten. Blieb nur meine Wenigkeit.
Ich stand auf. »Ich werde dich begleiten.«
Sie musterte mich, und ich dachte schon, sie würde es mir aus reiner Perversität verbieten. Aber dann nickte sie. »Okay«, sagte sie und verließ mein Büro.
[home]
34
W ie allen Bewohnern Miamis war mir Joe Acosta aus meiner Zeitungslektüre wohlbekannt. Es schien, als wäre er bereits seit ewigen Zeiten Stadtrat, auch schon ehe Häppchen seines Lebens von Zeit zu Zeit in die Medien gelangten. Seine Geschichte war wunderbar und herzerwärmend, ein wahres Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Märchen.
Joe Acosta war mit einem der ersten Flüchtlingsströme von Havanna nach Miami gelangt. Damals half ihm seine Jugend, sich dem Leben in den USA anzupassen, doch blieb er über die Jahre
gusano
genug, um in der kubanischen Gemeinde hohes Ansehen zu genießen. Die enormen Gewinne, die er mit Immobilien während des großen Booms in den Achtzigern gemacht hatte, steckte er in den Bau eines riesigen Apartmenthauses in South Miami. Innerhalb von sechs Monaten waren alle Wohnungen verkauft. Mittlerweile gehörte Acostas Unternehmen zu den größten von South Florida, und wenn man in der Stadt herumfuhr, fand man sein Firmenschild an nahezu jeder Baustelle. Er war so erfolgreich, dass ihm sogar die augenblickliche Finanzkrise kaum etwas anzuhaben schien. Selbstverständlich war das Baugeschäft nicht seine einzige Einkommensquelle. Er konnte jederzeit auf die sechstausend Dollar zurückgreifen, die er als Stadtrat jährlich erhielt.
Joe war seit ungefähr zehn Jahren in zweiter Ehe verheiratet, und es schien, als hätte ihm nicht einmal die Scheidung etwas anhaben können, denn er lebte nach wie vor sehr gut und sehr öffentlich. Bilder von ihm und seiner neuen Frau tauchten häufig in den Klatschspalten auf. Sie war eine englische Schönheit, die in den Neunzigern eine Reihe von wahrhaft schrecklichen Techno-Pop-Hits verbrochen hatte, um dann, als das Publikum endlich bemerkte, wie schauderhaft ihre Musik war, nach Miami zu ziehen, wo sie Joe kennenlernte und sich in einem behaglichen Leben als Vorzeigeweibchen bequem einrichtete.
Acosta unterhielt Geschäftsräume an der Brickell Avenue, und dort trafen wir ihn. Seine Büroräume nahmen das gesamte oberste Stockwerk eines der neueren Wolkenkratzer ein, die Miamis Skyline wirken ließen, als wäre ein riesiger Spiegel vom Himmel gefallen und in große, gezackte Scherben zerbrochen, die nun in unregelmäßigen Abständen aus dem Boden ragten. Wir passierten den Pförtner in der Empfangshalle und fuhren in einem eleganten Fahrstuhl nach oben. Sogar Acostas ultraschicker Stahl-und-Leder-Wartebereich bot einen wunderbaren Blick über die Biscayne Bay, was von Vorteil war, da wir reichlich Gelegenheit erhielten, davon Gebrauch zu machen, weil Acosta uns eine Dreiviertelstunde warten ließ. Es wäre schließlich sinnlos, Beziehungen zu pflegen, wenn
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