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Dexter

Dexter

Titel: Dexter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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»totenblass werden« habe ich schon häufig gehört oder gelesen, aber jetzt sah ich den Vorgang zum ersten Mal persönlich – abgesehen natürlich von der ganz wörtlichen Bedeutung im Zusammenhang mit meinem Hobby. Victor wurde bleicher als sein Unterhemd, und ehe Deborah mich auch nur anfunkeln konnte, weil ich ungebeten den Mund geöffnet hatte, platzte er heraus: »Ich schwöre bei Gott, ich habe nichts davon gegessen.«
    »Von was gegessen, Victor?«, hakte Deborah freundlich nach.
    Mittlerweile bebte er, sein Kopf schaukelte vor und zurück. »Sie werden mich umbringen«, stöhnte er. »Scheiße, Jesus, sie werden mich umbringen.«
    Deborah warf mir einen triumphierenden, hocherfreuten Blick zu. Dann legte sie Victor die Hand auf die Schulter und drängte ihn sanft zum Auto. »Steigen Sie ein, Victor«, sagte sie.

[home]
    21
    A uf dem Weg zur Haftanstalt blieb Deborah wortkarg. Sie versuchte, Deke anzurufen, damit er sich dort mit uns traf, aber seltsamerweise war er nicht zu erreichen, weder über Handy noch über Funk. Debs hinterließ in der Zentrale die Nachricht, dass er zu uns stoßen solle, doch abgesehen davon verlief die Fahrt in absoluter Stille – falls dies die richtige Bezeichnung dafür ist, gezwungen zu sein, einem zehnminütigen, unzusammenhängenden Monolog zu lauschen, der zur Hauptsache aus dem Wörtchen »scheiß« besteht. Chapin war an den Rücksitz gefesselt – in sämtlichen Dienstfahrzeugen waren zu ebendiesem Zweck Ringe an den Boden geschweißt –, und dort hockte er und murmelte, randalierte, drohte und nutzte das eklige kleine Wort ab. Ich persönlich war begeistert, als wir unser Ziel erreichten, doch Debs hätte scheinbar ewig so weiterfahren können. Jedes Mal, wenn sie Chapin im Rückspiegel betrachtete, zeigte sich fast so etwas wie ein Lächeln in ihrem Gesicht, und sie war geradezu fröhlich, als sie den Wagen abstellte und ihn herauszerrte.
    Als wir den Papierkram hinter uns gebracht hatten, war Victor behaglich in einem Verhörraum eingeschlossen und Chambers vom FDLE eingetroffen, um unsere Beute zu begutachten. Gemeinsam sahen wir zu Chapin hinein, der am Tisch saß, den Kopf auf die Unterarme gelegt, nur Zentimeter von den Handschellen entfernt.
    »Also schön«, meinte Chambers. »Ich muss Sie beide nicht daran erinnern, dass das hier streng nach den Regeln ablaufen wird.« Deborah sah ihn überrascht an, doch er fuhr fort, ohne sie eines Blickes zu würdigen: »Gute Arbeit, Morgan; Ihr Verdächtiger ist überzeugend, wir befolgen die Regeln, und mit ein bisschen Glück können wir den Mann einiger Verbrechen überführen.«
    »Ich scheiß darauf, ihn zu überführen«, sagte Deborah. »Ich will das Mädchen …«
    »Das wollen wir alle«, betonte Chambers. »Aber es wäre wirklich schön, wenn wir gleichzeitig diesen Typ festnageln könnten.«
    »Hören Sie«, sagte Deborah, »hier geht’s nicht um Politik oder Öffentlichkeitsarbeit.«
    »Das weiß ich«, erwiderte Chambers, doch Debs redete einfach weiter.
    »Ich hab einen Typ, der etwas weiß«, sagte sie. »Ich hab ihn isoliert, er fühlt sich nackt und hat Todesangst, und er steht kurz vor dem Zusammenbruch, also werde ich ihn verdammt noch mal brechen.«
    »Morgan, Sie müssen sich an die
Regeln
halten und …«
    Deborah stürzte sich auf Chambers, als hielte er persönlich Samantha Aldovar gefangen. »Meine Aufgabe ist es, das Mädchen zu finden«, schnauzte sie, den Zeigefinger in Chambers’ Brust bohrend. »Und dieses kleine Arschloch wird mir dabei helfen.«
    Chambers griff gelassen nach Deborahs Finger und bog ihn langsam und entschieden fort. Er legte ihr die Hand auf die Schulter, beugte sich vor und sagte: »Ich hoffe, dass er uns sagen kann, was wir wissen wollen. Aber ob ja oder nein, Sie halten sich an die Regeln und lassen sich nicht von Gefühlen überwältigen und in die Irre führen, verstanden?«
    Deborah starrte ihn aufgebracht an, und er erwiderte ihren Blick; keiner von ihnen zwinkerte, atmete oder sagte auch nur einen Ton, und sekundenlang stand ihr Zorn gegen seine Scharfschützen-Gelassenheit – Feuer gegen Eis. Ein absolut faszinierendes Duell, und unter anderen Umständen hätte ich den ganzen Tag zuschauen können, um festzustellen, wer als Sieger vom Platz ging. Doch angesichts der Lage dachte ich mir, dass es jetzt reichte, und produzierte ein bewusst künstliches Räuspern.
    »Ähem«, machte ich, und beide starrten mich an. »Es ist mir wirklich unangenehm, euch zu

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