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Dexter

Dexter

Titel: Dexter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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lieber in der Lage sein sollte, sich einen eigenen Verteidiger zu leisten, denn das Büro der Pflichtverteidigung, einst Heimstatt hart arbeitender, idealistischer Liberaler, ist zu einem kleinen, deprimierenden Zwischenstopp für junge Anwälte geworden, die auf den Absprung lauern. Man muss schon ein außerordentlich spezieller Fall sein, um mehr als ihre flüchtige Teilzeitaufmerksamkeit zu erringen.
    Deshalb war es ein guter Hinweis auf die Bedeutung unseres Falls, dass innerhalb einer Stunde eine smarte junge Frau, frisch von der Stetson Law School, auftauchte, um Victor Chapin zu vertreten. Sie trug einen adretten Hosenanzug – das neueste Hillary-Clinton-Modell; ihr aufrechter Gang wies sie als Avatar der amerikanischen Justiz aus, und ihre Aktentasche hatte vermutlich mehr gekostet als mein Auto. Sie trug sie und ihre Professionalität in das Verhörzimmer und nahm gegenüber Chapin Platz. Sie legte die Aktentasche auf den Tisch und blaffte barsch den Wärter an. »Ich will, dass sämtliche Mikrofone und Aufnahmegeräte abgeschaltet werden, und zwar
sofort.
«
    Der Wärter, ein älterer Mann, der wirkte, als hätte ihn seit Nixons Rücktritt nichts mehr wirklich interessiert, zuckte nur die Achseln, antwortete: »Klar, sicher, okay«, ging hinaus in den Korridor, drückte auf einen Schalter, und die Lautsprecher verstummten.
    Hinter mir fluchte jemand »Scheiße!«, woran ich erkannte, dass meine Schwester zurückgekehrt war. Ich blickte mich um, und tatsächlich, Deborah starrte in den jetzt lautlosen Raum.
    Ich war nicht sicher, ob wir noch miteinander sprachen, da ich ihren direkten Befehl, mich ins Knie zu ficken, missachtet hatte, deshalb wandte ich mich wieder ab und beobachtete die Peepshow. Es gab nicht viel zu sehen: Chapins nagelneue Anwältin beugte sich vor und redete mehrere Minuten drängend auf ihn ein. Er sah mit wachsendem Interesse zu ihr hoch und antwortete schließlich. Sie zog einen Block heraus und machte Notizen, und dann stellte sie ihm ein paar Fragen, die er zunehmend lebhafter beantwortete.
    Nach nur zehn oder fünfzehn Minuten stand die Anwältin auf und ging zur Tür. Deborah fing sie ab, als sie in den Flur trat. Sie musterte Deborah von Kopf bis Fuß mit einem Blick, der nicht wirklich Beifall verriet. »Sind Sie Sergeant Morgan?«, erkundigte sie sich, und während sie sprach, bildeten sich Eiszapfen in der Luft.
    »Ja«, bestätigte Deborah grimmig.
    »Sie haben die Verhaftung vorgenommen?«, fragte die Anwältin, als wäre dies ein anderes Wort für »Kinderschändung«.
    »Ja. Und Sie sind?«
    »DeWanda Hoople, Büro der Pflichtverteidigung«, antwortete sie, als müsste man den Namen kennen. »Ich glaube, wir müssen Mr. Chapin auf freien Fuß setzen.«
    Deborah schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht.«
    Ms. Hoople enthüllte eine Reihe erstklassiger Schneidezähne, es wäre jedoch übertrieben gewesen, dies als Lächeln zu bezeichnen. »Es ist vollkommen gleichgültig, was Sie glauben, Sergeant Morgan«, erwiderte sie. »Schlicht und ergreifend, in einfachen Worten ausgedrückt: Sie haben keinen Fall.«
    »Der kleine Scheißer ist ein Kannibale«, knurrte Deborah, »und er weiß, wo ich ein vermisstes Mädchen finden kann.«
    »Oje«, sagte Ms. Hoople. »Ich nehme an, dass Sie dafür Beweise haben?«
    »Er ist vor mir geflohen«, erwiderte Deborah ein wenig verdrossen. »Und dann hat er gesagt, er hätte nichts davon gegessen.«
    Hoople hob eine Augenbraue. »Hat er auch erwähnt,
wovon?
«, erkundigte sie sich, alldieweil liebliche Vernunft von ihren Lippen tropfte.
    »Der Zusammenhang war eindeutig«, beharrte Deborah.
    »Bedaure. Die Gesetzeslage bezüglich Zusammenhängen ist mir nicht geläufig.«
    Da ich meine Schwester nun einmal sehr gut kannte, war mir bewusst, dass sie kurz vor der Explosion stand, und wäre ich an Ms. Hooples Stelle gewesen, hätte ich mit hocherhobenen Händen den Rückzug angetreten.
    Deborah holte außerordentlich tief Luft und quetschte durch die Zähne: »Ms. Hoople, Ihr Mandant weiß, wo sich Samantha Aldovar befindet. Ihr Leben zu retten hat jetzt absoluten Vorrang.«
    Aber Ms. Hoople lächelte nur noch breiter. »Aber keinen Vorrang vor den Bill of Rights. Sie müssen ihn gehen lassen.«
    Deborah starrte sie an, und ich sah, dass sie vor lauter Ringen um Beherrschung geradezu zitterte. Falls es jemals eine Situation gab, die nach einer kurzen Rechten auf die Nase verlangte, dann diese, und es war nicht normal, dass meine

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