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Dexter

Dexter

Titel: Dexter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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heimtückischen Klinge, genau wie mein altes Ich. So war ich nicht mehr, ganz gleich, wie stark ich den Sog gespürt hatte. Dann erreichte ich die Haustür und hörte aus dem Inneren fröhliches Kinderkreischen. Von all den sich auftürmenden Absurditäten war dies die schlimmste: dass ich Ablehnung, Argwohn, ja selbst allzu menschlichen Ärger spürte, weil die Kinder ganz eindeutig eine tolle Zeit verlebten, und das ohne mich.
    Weshalb es ein sehr verwirrter Dexter war, der die Haustür öffnete und seine kleine Familie-plus-Bruder erblickte, die sich vor dem Fernseher versammelt hatte. Rita saß mit Lily Anne im Arm auf einer Seite des Sofas, Brian auf der anderen, zwischen ihnen Astor, und alle trugen ein breites Lächeln im Gesicht. Cody stand vor dem Fernseher, in der Hand ein gräuliches Plastikding, mit dem er in Richtung Bildschirm wedelte, während er auf und ab sprang und die Übrigen ihn anfeuerten.
    Als ich eintrat, schwenkten sämtliche Blicke bis auf Codys zu mir herüber und dann zurück zum Fernsehen, ohne mich eigentlich erkannt zu haben – nur Brian nicht, der mich starr musterte, dessen breites, künstliches Lächeln immer breiter wurde, während er beobachtete, wie ich bei dem Versuch scheiterte, herauszufinden, was im Wohnzimmer meines höchsteigenen Heims und Herds eigentlich vor sich ging.
    Dann endete der Jubel der Menge in einem langgezogenen »Oooohhhhhh …«, und ein plötzlich mürrischer Cody riss sich vom Bildschirm los.
    »Guter Versuch, Cody«, lobte Brian, ohne den Blick von mir abzuwenden. »Wirklich, echt gut.«
    »Ich hab die höchste Punktzahl«, sagte Cody, für ihn eine erstaunlich lange Rede.
    »Ja, das stimmt«, sagte Brian. »Schauen wir mal, ob deine Schwester dich schlagen kann.«
    »Klar kann ich das!«, rief Astor, die aufsprang und mit einem dieser Plastikdinger wedelte. »Du bist
erledigt,
Cody.«
    »Könnte mir jemand verraten, was um alles in der Welt hier eigentlich gespielt wird?«, fragte ich, und selbst in meinen Ohren klang ich einsam und verlassen.
    »Oh, Dexter«, sagte Rita und blickte mich an, als wäre ich etwas sehr Minderwertiges und sie sähe mich zum ersten Mal in ihren vier Wänden. »Brian hat … dein Bruder hat den Kindern eine Wii gekauft, und es ist sehr … Aber das soll er nicht«, fuhr sie fort, wandte mir den Rücken zu und sah wieder zum Fernseher. »Ich meine, das ist viel zu teuer und … Kannst du ihn fragen? Weil … Oh! Guter Schuss, Astor!« Rita zappelte richtiggehend vor Aufregung, wodurch Lily Annes Kopf leicht zur Seite rollte, und ganz offensichtlich hätte ich mich auch entkleiden und anzünden können, außer Brian hätte es niemand bemerkt.
    »Die Wii ist wirklich gut für sie«, sagte Brian mit seinem Cheshire-Katzen-Lächeln. »Damit trainieren sie und entwickeln ihre motorischen Fähigkeiten. Außerdem«, fügte er achselzuckend hinzu, »macht es tierisch viel Spaß. Du solltest es auch mal probieren, Bruderherz.«
    Ich musterte meinen Bruder mit seinem breiten, künstlichen, höhnischen Grinsen und hörte den Mond, der draußen nach mir rief, mir saubere, glückliche Erfüllung verhieß, deshalb wandte ich mich von ihm ab und betrachtete die Kinder und Rita, die ganz gefangen waren von diesem wunderbaren, neuen Erlebnis, und plötzlich wurde die Schachtel in meiner Hand – Klassenbester, fast zwanzig Dollar inklusive Steuern – so schwer und nutzlos wie ein altes Ölfass voller Fischköpfe. Ich ließ sie zu Boden fallen, und in meinem Kopf spulte ein kleiner Cartoon ab: Dexter, der unter Tränen aus dem Zimmer rennt, sich kopfüber aufs Bett wirft und sein gebrochenes Herz beweint.
    Zum Glück für das allgemeine Image des harten, aber fürsorglichen Vaters war diese Vorstellung so lächerlich, dass ich nur tief Luft holte, »Ups« sagte und mich bückte, um das Paket wieder aufzuheben.
    Auf dem Sofa war für mich kein Platz, deshalb ging ich an dem traulichen Grüppchen vorbei, das die Köpfe verdrehte, um an mir vorbeizusehen, damit keiner auch nur eine einzige aufregende Sekunde von Astors epischer Fernsehschlacht versäumte. Ich stellte mein Spiel auf den Boden und verharrte unruhig im Ruhesessel. Ich spürte Brians Blick, erwiderte ihn aber nicht; ich war darauf konzentriert, meine Fassade höflichen Interesses aufrechtzuerhalten, und nach ein paar Sekunden schaute er zurück zum Fernseher. Soweit es das restliche Zimmer betraf, war ich so vollkommen verschwunden, als hätte es mich nie gegeben.
    Ich

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