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Dezembergeheimnis

Dezembergeheimnis

Titel: Dezembergeheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caroline Richter
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als ich – und sie denkt immer über hunderte Sachen gleichzeitig nach. Ständig vergisst sie, ihre Rechnungen zu bezahlen oder dass der Kühlschrank leer ist, aber zum Glück gibt’s dafür ja Bernhard. Sally ist ja schon sehr aufgedreht, aber sie ist wenigstens noch verantwortungsbewusst. Meine Mutter hingegen   … Ich schätze, ich hab einfach Angst, dass nachher etwas schief läuft.«
    Noel schien für einen Moment sehr angestrengt nachzudenken.
    »Eine Sache verstehe ich nicht«, sagte er mit gerunzelter Stirn. »Warum denkst du, dass ihr so verschieden wärt? Du bist doch auch spontan und kreativ. Und denkst sogar an tausend Sachen gleichzeitig.«
    Für einen kurzen Moment starrte sie ihn an. Sie wusste nicht, wie er es tat, aber er sagte immer das Richtige.
    Bevor sie ungebremst eine Kurve verpasste und gegen die nächste Hauswand bretterte, besann sie sich darauf, zurück auf die Straße zu gucken. Zum Glück war dank Neujahr fast niemand außer ihnen unterwegs. Er hatte sie schon wieder vollständig aus dem Konzept geworfen, ohne mehr als eine einzige Frage gestellt zu haben.
    Mit dünner Stimme erwiderte sie: »Du solltest aufpassen, dass du mich dir nicht zu schön redest.«
    Die nächsten zwei Ampeln passierten sie schweigend und Lea trat sich mental in den Allerwertesten, mal wieder die Stimmung verdorben zu haben.
    »Erzähl mir was über deine Eltern«, forderte Noel sie auf. Er schien den Wink akzeptiert zu haben. Also begann sie, ihn über Elternschaft und Menschenkinder aufzuklären – nur dass sie den Aufklärungsunterricht dabei nonchalant auf einen unbestimmten Zeitpunkt vertagte.
    Seine Fragen über Familie und die verschiedenen Bande lenkten Lea ein wenig von ihrer Nervosität ab, auch wenn es ihr noch mal deutlich vor Augen führte, dass er so etwas nicht kannte. Noel hatte keine Eltern, keine Geschwister, Onkel oder Tanten; er hatte nur und ausschließlich Lea.
    All das half nicht, den kalten Kloß in ihrem Magen zu beruhigen. Ihre Finger trommelten weiterhin auf das Lenkrad, sie biss sich unablässig auf der Unterlippe herum und Noels Blick wich sie gekonnt aus. Sie konnte nicht mal genau benennen, was der eigentliche Grund für ihre Sorgen war – ein bisschen überschwängliche Kreativität war im Moment bestenfalls die Spitze des Eisbergs – aber allein das mentale Bild vom Aufeinandertreffen ihres Kuchenmanns mit ihrer Mutter ließ sie beinahe hyperventilieren.
    Mit jedem zurückgelegten Meter und jeder überquerten Kreuzung kamen sie dieser Horrorvorstellung ein Stück näher. Immer wieder verlor sie beim Erzählen den Faden, weil sie sich durch die Haare streichen oder das Radio leiser und dann wieder lauter stellen musste.
    »Und deine Großeltern, Lea?«, half ihr Noel auf die Sprünge, nachdem sie erneut einfach aufgehört hatte, weiterzusprechen.
    »Tot.«
    »Und hast du Geschwister?«
    Während sie den Wagen in die Straße vom Haus ihrer Mutter lenkte, glaubte sie, sterben zu müssen. Allein beim Anblick des Hauses erlosch jeder noch so kleine Hoffnungsfunke, der sich bis jetzt hatte aufrechterhalten können. Ihre Mutter schien den Weihnachtsdekorationswettkampf mit den Kemmlers von gegenüber im letzten Jahr nicht entschieden zu haben. Im Gegensatz zu den mindestens siebzehn Lichterketten, die quer über Haus und Grundstück gehängt waren, wirkte selbst der strahlende, wolkenfreie Himmel trist und monoton.
    Schockiert ließ sie den Wagen in die Auffahrt rollen, so langsam, dass er schon fast wieder rückwärts fuhr – nichts, gegen das sie Einwände gehabt hätte. Schließlich kam er aber doch neben einem lebensgroßen rotnasigen Rudolph aus Plastik zum Stehen.
    »Lea? Hast du   …?« Noels Versuche, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, waren vergebene Liebesmüh, denn ihr ganzes Sein war von dem leuchtenden Santa Claus abgelenkt, der auf dem Dach in einem Schlitten hin- und herfuhr und dabei Jingle Bells spielte. Überall in dem winzigenVorgarten saßen Elfen und Gnome, steckten Tannenzweige, leuchteten Lichter und blinkten Lampen. Ihre Kinnlade klappte einfach nach unten.
    »Lea!«, rief ihre Mutter freudig winkend von der Eingangstür. Leas Herz rutschte ihr in die Kniekehlen, während sie rasch zu Noel sah. Sein Blick war undefinierbar, doch er wirkte glücklicherweise gefasster, als sie sich fühlte. Na ja, genau genommen keine schwere Übung.
    »Es tut mir so leid!«, flüsterte sie heiser und schnallte sich ab. Noel machte es ihr zögerlich nach.
    Ihre Mutter

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