Dezembergeheimnis
»Gefällt dir die Feier hier?«
Lea sah ihn einfach nur an, denn sie war sich sicher, dass er die Antwort darauf ganz leicht in ihrem Gesicht ablesen konnte. Das Ganze war wie ein Traum, aber nicht wegen ihres Kleides oder des Orts. Tief in sich wusste sie, dass sie glücklich war, weil sie diesen Abend mit Noel teilen konnte. Weil sie mit ihm jemanden hatte, der glücklich war, weil sie glücklich war.
Seine Augen strahlten und er hob die rechte Hand, um ihr über die Wange und damit ein paar Haare aus dem Gesicht zu streichen. Unwillkürlich hielt sie den Atem an. Sie spürte, wie sich bereits alles wieder in ihr anspannte und sie mit sich kämpfte, nicht Reißaus zu nehmen. Das war nicht unbedingt die leichteste Übung, denn durch seine Bewegung rückten sie noch ein Stück näher zusammen, sodass er fast mit seinem gesamten Körper an ihr lehnte.
»Ist dir kalt?«, flüsterte er.
Lea schüttelte nur den Kopf und erwiderte ansonsten den Blickkontakt. Er legte ihr trotzdem den Arm um die Schultern. Ihre Gesichter waren so nah, dass sie seinen Atem auf der Nase spüren konnte. Doch gerade, als sie dachte, er würde sie küssen wollen –
oh mein Gott, oh mein Gott, oh mein Gott
– drehte er den Kopf in Richtung Nacht hinaus. Seine Stirn lag in Falten und es schien, als würde er angestrengt über etwas nachdenken.
»Alles in Ordnung?«, fragte sie kleinlaut.
Sofort sah er sie wieder an. »Ja, natürlich. Es ist nur … nichts Wichtiges.«
»Was ist
nur
?«, hakte sie nach. Sie mochte es nicht, wenn er ihr etwas verheimlichte. Sie wollte alles wissen, was er dachte – vielleicht einfach, weil sie es gewohnt war, es immer zu erfahren.
Er räusperte sich und zog sie so an sich heran, dass sie mit dem Rücken vor ihm stand. Ihre Hände lagen noch auf dem Geländer, doch nun legte er seine darüber. Er umarmte sie. Nur … anders. Lea spürte seine Wärme in ihrem Rücken und seinen Atem ganz leicht an ihrem Ohr.
»Da ist etwas, das ich nicht verstehe, Lea«, flüsterte er leise.
Da sie in die Weite hinaus sprachen, war sie sich sicher, dass sie auch niemand verstehen würde, würde er in normaler Lautstärke sprechen. Doch etwas an seinem Tonfall verriet ihr, dass es ihm um etwas Persönliches ging. Um etwas Ernstes. Etwas, das nur sie beide betraf. Ein Schauer jagte ihr durch den Körper, obwohl Noel sie in der Tat wärmte.
Sie antwortete ihm nicht, doch das brauchte sie auch nicht.
»Du weißt, dass ich dich mag. Sehr, sehr gerne«, fuhr er leise fort. Sie nickte leicht. »Doch da ist noch was anderes in mir. Es ist so … sehnsüchtig.«
Er hielt einen Moment inne, in dem seine Fingerkuppen zärtlich über ihre Handrücken strichen, ehe er sie wieder ganz griff. Ihre Augen folgten seinem kleinen Spiel, betrachteten dabei seine feingliedrigen Finger, während ihre eigenen sich bereitwillig mit ihnen verschränkten. Noel stand hier, mit ihr. Sie holte tief Luft und versuchte, die Empfindungen ihrer fünf Sinne in sich aufzunehmen, damit dieser Augenblick für immer in ihrer Erinnerung verwahrt bleiben würde, aber irgendwie war sie schon mit einem überfordert.
»Ich würde dich gerne viel öfter so halten. Oder deine Hand berühren oder dir durch die Haare streichen.« Er atmete durch. »Es tut mir leid«, flüsterte er dann. »Ist das schlimm?«
Lea schluckte und als sie antwortete, wollte ihre Stimme nicht mehr als ein Hauchen von sich geben. »Nein, ist es nicht.«
Im Gegenteil: Es war toll. Traumhaft. Unvorstellbar, atemberaubend, fantastisch. Sie, die ein solches Geständnis eigentlich fürchten sollte wie eine Falte ein Dampfbügeleisen, jauchzte innerlich auf.
Sie spürte die Luft, die seinen Lungen entwich, in ihren Haaren, während er den Griff um sie verstärkte. Dem Himmel dankend, dass ihr niemand ins Gesicht sehen konnte, schloss sie die Augen und lehnte sich kaum merklich tiefer in seine Umarmung.
»Lea, was weißt du über Küsse?«
Kabumm.
»Äh, was? Küsse?«, japste sie. Noels Finger begannen erneut, verwirrende Muster auf ihre Handrücken zu zeichnen. »Ich, also … Warum willst dudas wissen?«
»Heute Nachmittag … haben wir doch etwas über Neujahrsküsse gesehen … «, antwortete er und klang dabei derart peinlich berührt, dass es das Thema auch nicht gerade einfacher für sie machte.
Sie räusperte sich und begann, den Blick stur – und hochrot – auf die Nachtlichter gerichtet, zu erklären. »Also, e-es gibt verschiedene Arten von Küssen. Aber
Weitere Kostenlose Bücher