Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dezemberglut

Dezemberglut

Titel: Dezemberglut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda K. Heyden
Vom Netzwerk:
ihn.

Kapitel 35
     
    Langweilig. Grunzlangweilig.
    Ich saß in einem völlig überheizten Seminarraum , schaute nach draußen in die trübe winterliche Dunkelheit und gähnte. Es hatte mich viel Anstrengung und Überredungskraft gekostet, Damian zu beruhigen, aber schließlich hatte er sich mit meinem Besuch der Uni einverstanden erklärt. Nicht, dass ich große Lust dazu hatte, aber bald standen weitere Klausuren an, deshalb war es wichtig, hier zu sein.
    Aber je länger das Seminar dauerte, umso häufiger fragte ich mich, warum ich mich so dafür eingesetzt hatte, hier sitzen zu dürfen. Die Luft war schlecht, und ich langweilte mich entsetzlich, während ich dem Beitrag des Dozenten zuhörte. Nicht nur alte Vampire schwafelten Blödsinn.
    Mehr denn je zog ich meine Entscheidung für das Studium infrage. Morgen würde ich mich erkundigen, wie und wann ich das Studienfach wechseln konnte. Um Medizin zu studieren, was ich eigentlich immer gewollt hatte. Sofort fühlte ich mich besser.
    Und dachte an Damian. W enn ich anfing, mich mit Medizin zu beschäftigen, würde er es ebenfalls tun. Das war gleichzeitig gut und schlecht, denn von seinen beeindruckenden medizinischen Kenntnissen abgesehen, war Damian grässlich perfektionistisch. Da, wo ich mit einundfünfzig Prozent zufrieden war, wollte er hundertzehn , da brauchte ich nur an unsere Übungen zu denken. Gut. Dann wü r de ich ihn eben anderweitig beschäftigen müssen. Hundertundein e Möglichkeit, einen Vampir abzulenken. Da würde mir schon etwas einfallen.
    Es gab also Sinnvolleres, als hier zu sitzen und mir meinen Unterkiefer beim Gähnen auszurenken. Vor dem Kleiderschrank stehen und entscheiden, was ich für mein späteres Treffen mit Damian anziehen sollte. Mit Tiffany reden . Von mir aus auch mit Püppi Gassi gehen.
    Überall war es besser, als hier.
    Das Seminar dauerte bis neun zehn Uhr. Ich kämpfte mit meinem Gewissen. Damian hatte mir von seinen Vorahnungen erzählt. Seiner Angst, dass mir etwas zustoßen könnte. Ich hatte zugestimmt, mich später von Steffen abholen zu la s sen , aber Damian war wirklich überbesorgt. Wenn i ch d ie U-Bahn nahm oder den Bus , würde ich in der Zentrale sein, bevor Steffen losfuhr und Damian auch nur wusste, dass ich allein unterwegs gewesen war.
    Ich packte meine Sachen so leise wie möglich, schnappte mir Rucksack und J a cke und zog vorsichtig die Tür vom Seminarraum hinter mir zu. Im Flur schlüpfte ich in die Jacke, hängte mir den Rucksack über die Schulter und stiefelte los.
    „H ey . Lange nicht gesehen. Ich halte schon einige Tage nach dir Ausschau. Danke, dass du mich heute nicht warten lä ss t.“
    Ich spürte einen Arm auf meiner Schulter und drehte mich erschrocken um.
    Christian. Und wiederum nicht.
    Sein Haar hatte jede blondierte Leuchtkraft verloren. Das Gesicht war blass statt sonnengebräunt, seine Augen dunkel, ohne Leben und ohne Mitgefühl.
    „Lass mich los.“
    Er hakte sich bei mir ein.
    „Da gibt es jemanden, der dich gern wiedersehen möchte . “
    Mein Verstand setzte aus, meine Kraft verließ mich. Hätte Christian nicht fester zugepackt, wäre ich hingefallen.
    „Wenn deine Freude so überwältigend ist, um so besser.“ Sein Arm rutschte ti e fer. Er hakte seine Finger in die leere Gürtelschlaufe meiner Jeans, zog mich noch dichter heran und führte mich über den Gang. Wir sahen aus wie ein engu m schlungenes Liebespaar.
    Christian hatte den gleichen Geruch wie Martin. Und Gregor. Dieser Geruch hatte sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt und lähmte mich, verstopfte mir die Nase und betäubte meinen Verstand. Ich vergaß zu atmen. Mein Hals wurde so trocken, dass ich kein Wort herausgebracht hätte. Alte Gefühle, die ich für immer verbannt glaubte, waren zurück als wäre ich in die Zeit meiner Gefange n schaft zurückversetzt. Alles war wieder da: Furcht, Panik und hilflose Schwäche. Ich kämpfte gegen den Drang zu würgen, stolperte und hatte Angst, umzukippen. Christians Griff wurde fester.
    Ich musste stark sein. Ich hatte es schon einmal geschafft, mich gegen Martin zu wehren, im Kerker, und Christian war eindeutig schwächer als Martin.
    Endlich setzte mein Verstand wieder ein. Ich war eine Emanati, und Christian ein Vampir. Ich versuchte, seine Berührung zu nutzen, zu verstehen, was in ihm vorging. Da war nichts. Nichts? Vermutlich war ich immer noch zu panisch. U n konzentriert. Ich versuchte es erneut. Nichts. Dann, ganz tief, wie verschüttet. Schmerz, Zorn,

Weitere Kostenlose Bücher