DGB 06 - Gefallene Engel
begab er sich lächelnd auf den Weg nach Endriago,
den schweren Schädel hinter sich her schleifend.
Er fragte sich, wie wohl Lord
Domiel und Narel auf seine Rückkehr reagieren würden. Dass sie überzeugt gewesen
waren, der Löwe werde ihn töten, trug er ihnen nicht nach. Stattdessen freute
er sich, ihnen das Gegenteil beweisen zu können. Er hatte alle seinen Vorhaben
erfüllen können. Die Bestie war tot, die Menschen in Endriago waren von ihrer
Angst befreit, und er selbst war bis an seine Grenzen gegangen.
Er hatte bewiesen, wozu er
fähig war, hatte gezeigt, dass er sich dem Streben seines Ordens nach
Vortrefflichkeit verpflichtet fühlte und würdig war, ein Ritter zu werden.
Aber letzten Endes zählte nur
eines: dass er noch lebte. Beim Blick auf den Schädel der Bestie verspürte er
ein überwältigendes Triumphgefühl. Er hatte seine Aufgabe bestanden und die
Jagd erfolgreich beendet.
Zum ersten Mal in seinem Leben
fühlte Zahariel, dass er der hohen Maßstäbe würdig war, die er von sich selbst
gefordert hatte.
Er würde niemals selbstgefällig
sein, nicht, wenn es darum ging, seinen Wert zu beweisen. Für Aufgaben wie diese
Jagd war er geschaffen. Immer wieder würde es ein Monster geben, das getötet werden
musste, eine Schlacht oder ein Krieg, den es zu gewinnen galt. Bis zum letzten
Herzschlag seiner Existenz würde er weiter-machen und niemals aufgeben. Niemals
würde er scheitern. Aber für den Augenblick — für diesen einen Augenblick —
fand er, dass er sich das Recht verdient hatte, auf seine Leistung stolz zu
sein.
Zahariel wandte sich von der
Lichtung ab und begab sich auf den langen Marsch zurück nach Endriago.
Zehn
IN ENDRIAGO SCHENKTE LORD
DOMIEL ihm ein neues Streitross als Ersatz für das Tier, das dem Löwen zum Opfer
gefallen war. Damit sich sein Körper von den Strapazen erholen konnte, war
Zahariel für eine Woche in der Siedlung geblieben. Als die restlos begeisterten
Bürger ihn endlich ziehen ließen und er sich ohne allzu starke Schmerzen
bewegen konnte, war er schließlich in Richtung Heimat aufgebrochen.
Angesichts der Tatsache, dass
er eine vorangegangene Reise wiederholte — wenngleich entgegengesetzt —, wusste
er genau, wo er entlangreiten musste. So legte er die Rückreise zum
Ordenskloster in deutlich kürzerer Zeit als erwartet zurück.
Achtunddreißig Tage nach seinem
Aufbruch aus Endriago konnte er in der Ferne bereits die Türme von Aldurukh sehen.
Am neununddreißigsten Tag war
er vor den Toren angelangt.
Der letzte Teil des Ritts würde
ihm auch später immer noch als der markanteste in Erinnerung bleiben. Als er sich
der Festung näherte, erwachte in ihm ein Gefühl freudiger Erwartung, denn er freute
sich auf das Wiedersehen mit Nemiel und den anderen.
Zugegeben, er musste sich noch
den Prüfern des Ordens stellen, damit die seine Leistung bestätigten, aber mit
dem Löwenkopf im Gepäck waren aus seiner Sicht keine Probleme zu erwarten.
Zahariel rechnete mit einer herzlichen
Begrüßung durch alle Freunde, und das umso mehr, da fast jeder gedacht hatte,
er würde diese Mission nicht überleben.
Naturgemäß konnte er nicht in
vollem Umfang verstehen, was das bedeutete. Das Leben erschien ihm so wunderschön,
und es wurde durch die Mühen und erlittenen Schmerzen nur noch schöner. Er war
einer der schlimmsten Bestien, die Caliban hervorgebracht hatte, entgegengetreten
und mit dem Leben davongekommen. Dieses Gefühl wollte er zusammen mit seinen
Freunden feiern.
Er konnte nicht wissen, in
welche Trauer sie verfallen waren, seit er Aldurukh verlassen hatte. Sie
hielten ihn für tot und hatten um ihn getrauert — im Geiste war er von ihnen
bereits zu Grabe getragen worden.
Dass er entgegen aller Ängste
überlebt hatte, würde ihn in den Augen vieler Zeitgenossen noch etwas
heroischer erscheinen lassen, vor allem bei denjenigen, die mit ihm als
Anwärter im Orden gewesen waren.
Aber all das war ihm zum
Zeitpunkt seiner Rückkehr nach Aldurukh noch nicht bewusst.
»Wir dachten alle, du bist
tot«, erklärte Attias ihm aufgeregt. Der Junge hielt eine Schachtel mit
Zahariels wenigen Habseligkeiten in den Händen und lief begeistert hinter ihm
her, während der sein Bettzeug durch den Korridor trug. »Jeder hat das
geglaubt. Die meinten alle, die Bestie hätte dich getötet. Es wurde sogar schon
von einer Beerdigungszeremonie für dich gesprochen. Stell dir das mal
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