DGB 06 - Gefallene Engel
für neue Siedlungen roden und neue Äcker anlegen«, fuhr er
fort.
»So werden wir mehr Nahrung für
die Menschen haben.«
»Das werden die Bürgerlichen
erledigen«, korrigierte ihn Sartana.
»Aber was wirst du tun, Junge?
Was ist mit den Ritterorden? Was werden die tun? Erkennst du das Problem?«
»Nein. Wie soll es ein Problem geben,
wenn wir eine bessere Welt schaffen?«
»Ich bin von Blinden umgeben«,
beklagte sich Sartana. »Ich bin ein alter Mann, und doch kann ich weiter sehen
als jeder junge Mensch in meiner Umgebung. Also gut, wenn du das Problem nicht
erkennen kannst, werde ich es dir erklären. Zunächst aber eine ganz einfache
Frage: Warum gibt es Ritterorden auf Caliban? Welchen Zweck erfüllen wir?«
»Welchen Zweck? Wir beschützen
die Menschen«, antwortete Nemiel.
»Genau. Wenigstens einer von
euch hat Köpfchen. Und wovor beschützen wir sie?«
»Natürlich vor den großen
Bestien«, sagte Zahariel, und in diesem Moment wurde ihm klar, worauf Sartana hinauswollte.
»Oh«, machte er.
»Ja, vor den großen Bestien«,
gab Sartana zurück. »Dir steht das erste Dämmern ins Gesicht geschrieben. Jahrtausende
gab es für die Ritter von Caliban eine geheiligte Pflicht. Wir haben die
Menschen vor den großen Bestien beschützt. Das war immer unser Lebensinhalt,
der Grund für unsere Existenz. Es war unser Krieg, den wir in den Wäldern
dieser Welt führten. Fünftausend Jahre lang war das die Tradition, aber die nimmt
nun ein Ende. Dank eurem Orden und dank Lion El'Jonson wird es bald keine
Bestien mehr geben. Und was wird dann aus den Rittern von Caliban?«
Lord Sartana schwieg eine
Weile, um seine Worte wirken zu lassen, erst dann redete er weiter. »Wir sind
Krieger, Junge. Das liegt uns im Blut. Das ist unsere Kultur. Wir sind stolz
und furchtlos. So war es immer, schon seit den ersten Tagen unserer Vorfahren.
Der Konflikt gibt unserer Existenz einen Sinn. Wir jagen und kämpfen, und das
nicht nur, weil die Menschen auf Caliban unseren Schutz benötigen. Wir tun es,
weil wir es müssen. Ohne das herrscht Leere in unseren Herzen, eine Leere, die
sich durch nichts anderes füllen lässt, sosehr wir uns auch bemühen. Mit
Frieden kommen wir nicht gut zurecht. Uns sträuben sich die Nackenhaare, wenn
wir zur Untätigkeit verdammt sind. Wir werden rastlos und nervös. Wir brauchen
das Gefühl der Gefahr, den Kampf auf Leben und Tod. Ohne diese Dinge fehlt uns
etwas.«
»Das ist eine pessimistische
Einstellung«, sagte Zahariel.
»Nein, eine realistische«,
widersprach Sartana. »Wir brauchen die Bestien, Junge. Was glaubst du, warum mein
Orden sie ein-gefangen hat? Wir wollten die Rasse der Bestien am Leben
erhalten! So, jetzt habe ich es ausgesprochen. Vielleicht schockiert dich das,
aber wenn du ganz ehrlich in dein Herz hineinschaust, wirst du erkennen, wir
brauchen unsere Monster, weil sie uns zu dem machen, was wir sind. Solange es
Bestien auf Caliban gibt, sind wir Helden. Aber ohne Bestien sind wir nichts.
Nein, wir sind sogar weniger als nichts.«
»Sie haben die Bestien am Leben
erhalten?«, fragte Zahariel, über alle Maßen entsetzt.
»Natürlich«, erklärte Sartana.
»Ohne die Bestien ist unser Krieg beendet. Was soll dann aus uns werden? Wo
liegt unsere Zukunft? Welchen Wert hat ein Krieger, wenn er keinen Krieg mehr
führen kann? Darin liegt die größte Gefahr, junge. Langeweile erzeugt Unruhe,
und Unruhe führt zu Verärgerung. Wenn wir keinen Krieg mehr haben, mit dem wir
uns beschäftigen können, werden wir uns sehr wahrscheinlich einen neuen Krieg suchen.
Wie eine Meute Raptoren werden wir übereinander herfallen. Ich werde nicht
lange genug leben, um das noch mit anzusehen, aber wenn ich in die Zukunft
schaue, dann erblicke ich da nur Finsternis. Ich sehe Bürgerkriege, ich sehe
Brüder, die sich gegeneinander wenden, ich sehe Blut — und das alles nur, weil wir
keine andere Möglichkeit mehr haben, unserem Zorn freien Lauf zu lassen. Das
ist die Zukunft, die euer Orden für uns schafft, auch wenn ich zugeben muss, dass
euer eifriger Anführer nur die besten Absichten verfolgte.«
Zahariel und Nemiel waren bis
auf eine Schwertlänge an ihn herangekommen, was den Führer der Ritter des Lupus-Ordens
nachsichtig lächeln ließ.
»Zweifellos habt ihr den
Befehl, mich zu töten.«
Zahariel nickte. »Das ist
richtig.«
»Ich mag alt sein, aber ich
glaube, um mich zu töten, braucht es mehr als zwei kleine Jungs.«
»Das werden wir ja sehen«,
sagte Nemiel.
»Nein, das
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